Das AfD-Verbot ist aus dem Sommerloch zurück. Mancher sieht gute Chancen, der Partei ein Ende zu bereiten. Und was geschieht dann? So weit denkt der Shitbürger nicht.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Woran erkennt man, dass die Sommerpause ein Ende hat? Richtig! Man spricht wieder über die AfD – und auch die Demokratierettung ist aus dem Urlaub zurück. Daher häufen sich jetzt wieder solche Beiträge, die sich mit einem Verbot jener Partei befassen. Unter anderem führt man einen CDU-Hinterbänkler an, der sich für ein solches Verbot einsetzt, nach allem, was er von der AfD sehe und höre, so lässt sich der Mann zitieren, führe »kein Weg an einem Verbot vorbei«. Er beurteile das nicht juristisch oder politikwissenschaftlich, fügt der Christdemokrat dann noch dezidiert hinzu, »sondern aus Sicht eines Parlamentariers und Familienvaters«. Bei so viel Expertise, weiß man auch nichts mehr einzuwenden.
Sein Statement ist bezeichnend. Denn es zeigt ziemlich eindeutig auf, dass es bei vielen, die ein Verbot fordern, um ein diffuses Gefühl geht – und nicht um objektivierbare Ansätze. Das Bauchgefühl rät zur Forcierung des Verbotes. Nicht wenige Staatsrechtler sehen in der Tat kaum Möglichkeiten, ein solches Verbot zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Das letzte Gutachten des Verfassungsschutzes erntete starke Kritik, weil es teils groteske Vorwürfe in den Raum stellte. (Hier mehr dazu – ja, das ist von NIUS, aber das Feature geht durchaus kritisch mit der AfD um und benennt auch, wo der Bericht des Verfassungsschutzes zu recht genauer hinschaute.) Die Sammelwut erntete auch dort »Vorfälle« ab, wo objektiv betrachtet nichts zu finden war. Die AfD sollte auf diese Weise zu einer Partei unter Vorbehalt werden – zu einem Projekt, das sich für die Bürger nicht mehr lohnt, weil es eh bald verschwindet.
Es braucht mehr als Befindlichkeiten
Besonders Sozialdemokraten und Grüne stellen es gerne so dar, als sei ein Parteiverbot nur eine Frage des Willens: Entschließt man sich dazu, läuft der Prozess quasi automatisch von selbst ab – und am Ende steht dann der Erfolg aus Sicht der Antragssteller: Das Verbot der Alternative für Deutschland (AfD). Man muss nur wollen, dann klappt das auch: So vermittelt man medial den Bürgern das Vorhaben. Es ist müßig, erneut auf die Fallstricke zu sprechen zu kommen, die ein Parteiverbotsverfahren birgt. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) konnte letztlich nicht verboten werden, obgleich deren Nähe zu Neonazis dokumentiert war – zu viele V-Männer machten es unmöglich zwischen dem, was Partei ist und dem was von Landesinnenministerien forciert wurde, zu unterscheiden.
Die NPD war in den Neunzigerjahren letztlich nur eine kleine Partei, die lediglich regionale Wahlerfolge einfuhr – dennoch gelang es der Politik nicht, die Verfassungsrichter von einem Verbot zu überzeugen. Der Verfassungsjurist Uwe Volkmann wies bereits im Januar 2024 – damals begannen die Demonstrationen für die Demokratie und die Parteiverbotsrufe wurden lauter – darauf hin, dass es nicht mehr möglich ist, eine Partei ab einer gewissen Größenordnung zu verbieten.
Ohnehin seien die Hürden hoch – gewollt hoch, damit ein solches Verfahren nicht zu leicht zum politischen Instrument degradiert werden kann. Eine Wannsee-Konferenz, auf der einige Mitglieder der Partei zugegen waren und von der auch nicht ganz sicher ist, was dort besprochen wurde, reicht jedenfalls nicht aus, um das Bundesverfassungsgericht von der Verfassungsfeindlichkeit einer Partei überzeugen zu können. Es braucht dazu konkrete Belege, die deutlich machen, dass die zu verbietende Partei aktiv gegen die demokratische Ordnung, die das Grundgesetz vorgibt, kämpft und diese abschaffen möchte – dabei ist auch von Bedeutung, ob Gewalt als Mittel propagiert wird. Nicht ausreichend zur Dokumentation dieser Absicht sind extremistische Äußerungen von einzelnen Mitgliedern, um damit ein Verbot der gesamten Partei zu begründen. Es wäre ja auch niemand vor 15 Jahren auf die Idee gekommen, die SPD verbieten zu wollen, weil eines ihrer Mitglieder – Thilo Sarrazin – damals kuriose Ansichten zur Genetik verbreitete.
Und dann wählen alle wieder SPD und Grüne?
Befindlichkeiten reichen also bei weitem nicht aus, um eine Partei verbieten zu lassen. Und der Hinweis auf einige Mitglieder, die sich justiziabel geäußert haben, bringt ein solches Parteiverbotsverfahren auch nicht voran. Es dauert außerdem recht lange, mehrere Jahre können ins Land gehen, bis das Bundesverfassungsgericht ein Urteil spricht – bis dahin sind die Mehrheitsverhältnisse unter Umständen so in Bewegung geraten, dass der Prozess mittendrin abgebrochen werden könnte. Denn es ist davon auszugehen, dass ein eingeleitetes Verfahren mehr Menschen für die AfD rekrutiert, als diese Partei in Bedrängnis zu bringen. Denn zu offenbar sind die Bestrebungen der Sozis und der Grünen: Sie wollen einen lästigen Mitbewerber loswerden – ob der verfassungsfeindlich aufgestellt ist oder nicht, ist bestenfalls zweitrangig für diese Strategen dieser shitbürgerlichen Parteien.
Was ist der eigentliche Plan dahinter? Die AfD bringt bundesweit bald – laut neuesten Prognosen – schon an die 30 Prozent derer hinter sich, die noch zur Wahl gehen. Nehmen wir nur einen Augenblick an, dass die AfD schnell und effizient verboten wird und nicht mehr zur Wahl steht: Was soll dann geschehen? Wählen dann diese 30 Prozent, die jetzt »frei werden«, die SPD oder die Grünen? Bricht dann die große Zeit der Demokratie an, weil die um »ihre Wahl« gebrachten Wähler so tun, als merkten sie gar nicht, dass man ihnen ihre Entscheidung entwendet hat?
Historiker Andreas Rödder erklärte, dass ein solches Szenario nicht im Sieg der Demokratie ende, sondern »einen sicheren Weg in den Bürgerkrieg« darstelle. Das mag nicht übertrieben sein, denn über 10 Millionen Menschen haben im Februar bei den Bundestagswahlen die AfD gewählt – bei einer nächsten Wahl, so zeigen es die Prognosen, werden es deutlich über 10 Millionen Menschen sein, wenn die Wahlbeteiligung in etwa auf demselben Niveau verweilt. Geht man davon aus, dass diese Leute, die die AfD aus den unterschiedlichsten Gründen wählen – oft auch nur, um der Arroganz der etablierten Parteien eines auszuwischen –, dumm genug sind, ein solches Vorgehen schlicht nicht zu bemerken? Und was, wenn sie doch aufbegehren? Schickt man dann bewaffnete Truppen in die Straßenschluchten deutscher Innenstädte, damit die ihren Teil zur Rettung von Unseredemokratie leisten?
Covid besiegen, Russland besiegen, AfD besiegen: Denken in engen Grenzen
Mein Gott, was ist nur mit diesem Shitbürgertum los? Strategisches Denken kennt es gar nicht mehr, es zeigt sich durch und durch radikal, will überall alles mitsamt der Wurzel ausreißen, auch wenn es zum Schaden aller ist – denn fiat iustitia et pereat mundus, wie der Lateiner sagt. Das ist der Wahlspruch dieser Leute, zu Deutsch: Es soll Gerechtigkeit geschehen – und gehe die Welt darüber zugrunde. So eine Haltung kann sich ein Marvel-Superheld in einem Hollywood-Film leisten oder ein Kindergartenkind oder auch jemand, der mit einem Suizid liebäugelt. Aber doch nicht Menschen, die vorgeben, die Belange der Gesellschaft steuern zu wollen! Dennoch agiert der Shitbürger genau auf diese Weise – er sagt noch nicht mal: Nach mir die Sintflut. Nein, er nimt die Katastrophe nicht später in Kauf, er duldet sie auch jetzt sofort. Er denkt sich: Und wenn die Sintflut mich auch erfasst, dann macht das nichts – Hauptsache ich habe der Gerechtigkeit Dienst getan. Er ist ein Eiferer, blind im heiligen Zorn – sein strategisches Konzept ist kurzsichtig, er will einen lästigen Konkurrenten loswerden. Was danach folgt: Egal, soll die Welt den Bach runtergehen …
Ohne Rücksicht auf Verluste hatte man sich den Kampf gegen Covid verschrieben. Zero Covid – das war das Stichwort. Für dieses Ziel ordnete der Maskenshitbürger alles unter: Totaler Lockdown, radikale Kontaktbeschränkungen, Einschluss wenn nötig und – wenn es gar nicht anders geht – ein Respirationsverbot im öffentlichen Raum nach 20 Uhr. Er kannte nur ein Ziel: Die Eliminierung des Virus – der totale Sieg! Dann kam Russland und es wurde wie der Virus behandelt, den man kurz zuvor noch ausmerzen wollte. Zero-Russia-Strategie: Ganz gleich, was es kostet, whatever it takes. Und siehe da: Die Sintflut kommt nicht nach uns – wir baden in ihr und saufen langsam in ihr ab. Aber Hauptsache man war moralisch genug, das Richtige zu tun – wertebasiert halt. Sicher, die Wirtschaft darbt, die Leute leiden unter Kosten, die sie nur noch ächzend tragen können: Aber fühlt es sich nicht grandios an, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, auch wenn es die Seite der gesellschaftlichen Verarmung ist?
Nun also die AfD: Sie muss besiegt und ruiniert werden, wie das Virus, wie Russland, wie demnächst was ganz Anderes, das der Shitbürger dann der Ausrottung überantworten möchte – irgendein Feindbild hat er immer. Braucht er auch, er ist nichts ohne sein Feindbild; erst an ihm nimmt er sich selbst wahr. Am Du wird er zum Ich, um Martin Buber zu bemühen. Der Theologe meinte es freilich anders. Die Shitbürger-Existenz ist eine Identitätsstörung, die einen Feind braucht, um mit sich selbst Frieden machen zu können. Das ist der Schoß seiner Radikalität, die dann alles total und totalitär besiegen möchte, was gerade das Feindbild der Stunde ist – nur so spürt sich der Shitbürger noch. Die engen Grenzen seines Denkens lassen gesamtgesellschaftliche Betrachtungen gar nicht zu – sein politischer Kampf dient nicht der Allgemeinheit, sondern seinem Innenleben. Daher kümmern ihn auch nicht die Folgen, die Partei von 10 Millionen Wählern verbieten zu wollen. Wenn das einen Bürgerkrieg heraufdämmern lässt, so glaubt er, dann sei das nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu begrüßen, denn das würde beweisen, was für Faschos diese AfD-Wähler tatsächlich sind.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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