„Peter Scholl-Latour schwamm mit einer Unverblühmtheit gegen den auf außenpolitischem Gebiet vor allem an Washington orientierten Mainstream der Bundesrepublik, die heute mit einer Karriere in den Medien, zumal den öffentlich-rechtlichen kaum noch vereinbar wäre.“ Das schreibt Manuel Rouff in der Preußischen Allgemeinen Zeitung zum hundertsten Geburtstag der deutsch-französischen Journalisten-Legende.
Am 9. März 1924 kam der Journalist, Sachbuchautor und Publizist auf die Welt. Scholl-Latour habe dem Propagandabild vom offensiven, aggressiven Russland und dem defensiven Westen widersprochen. Die Syrienpolitik des Westens habe er ebenso wie dessen Ukrainepolitik und die schnelle Nato-Osterweiterung kritisiert. Auch in der Innenpolitik sei er gegen den Strom geschwommen, wenn er den sogenannten Klimaschutz als „Modethema“ bezeichnete, so die Zeitung.
Das Buch von Scholl-Latour aus dem Jahr 2007 mit dem Titel „Russland im Zangengriff“ ist ein Klassiker geworden und nimmt an Aktualität stetig zu. Davon zeugt das Zitat aus dem Vorwort:
„Im Jahr 2006 war es noch eine kühne Vermutung, im belarussischen Minsk von einer ‚Rückkehr zum Kalten Krieg‘ zu reden. Heute ist das Thema in aller Munde. Natürlich besteht keine Gefahr, dass es jemals zu einer kämpferischen Auseinandersetzung großen Stils zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen Föderation kommt. Diese Befürchtung hat seit der Kuba-Krise nicht mehr real bestanden. Heute würde im Extremfall das Weiterbestehen des nuklearen Patts die ehemaligen Kontrahenten des Ost-West-Gegensatzes zur Räson zwingen.“
Interessant wäre es, zu wissen, was Scholl-Latour heute sagen würde. Weiter schrieb er aus Anlass der Münchener Sicherheitskonferenz 2007:
„In München war im Frühjahr 2007 eine seltsame Aufregung im westlichen Lager aufgekommen, als bei der leider umbenannten ‚Wehrkundetagung‘ Wladimir Putin mit der Faust auf den Tisch schlug und die Dinge beim Namen nannte. Hatten Amerikaner und Deutsche wirklich geglaubt, der russische Präsident, der durch die harte Schule des KGB gegangen ist, werde passiv zuschauen, wie Washington und Brüssel eine politische ‚Einkreisung und Isolierung‘ seines Landes betrieben, und diese gefügig hinnehmen? Die US-Militärbasen in Zentralasien, im Kaukasus, in Polen und auf dem Balkan führen aus der Sicht des Kreml eine deutliche Sprache.“
Scholl-Latour lieferte den Titel für das jüngst erschienene Buch von Ramon Schack „Zeitalter der Idiotie – Wie Europa seine Zukunft verspielt“. Der große Chronist habe 2014 einem Interview mit dem Buchautor gesagt: „Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung.“ Wie beklemmend aktuell das klingt! Dazu, wie einseitig die hiesigen Medien über die Ukraine, aber auch über Syrien und andere Krisenherde berichten, sagte er: „Man kann wirklich von einer Desinformation im großen Stil sprechen“.
Von Schack danach gefragt, ob er die Entwicklung für gefährlich halte, antwortete der berühmte Reporter: „Ja, vor allem auch für die EU. Ich frage mich, was sich die Europäische Union von einer Annäherung der Ukraine erhofft? In Brüssel sollte man sich besser auf eine Konzentration und Konsolidierung ausrichten, statt die Ausweitung nach Osten voranzutreiben.“ Mit der Aufnahme Kiews in die EU „würde das aufgeblähte Territorium der fragilen Europäischen Union bis rund dreihundert Kilometer an jenes Schlachtfeld heranrücken, das unter dem Namen Stalingrad berühmt wurde. Haben die Deutschen jedes Gespür für die Tragik der eigenen Geschichte verloren?“
Scholl-Latour war im Abendland verankert, doch zugleich ein Wanderer zwischen den Welten, erinnert die Preußische Allgemeine. Seine Mutter war Jüdin. Das hinderte ihn nicht daran, Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft zu werden und beste Beziehungen in die islamische Welt zu haben. Von Letzterem zeuge nicht zuletzt seine Begleitung Ayatollah Khomeinis bei dessen triumphaler Rückkehr in den Iran 1978.
Der berühmte Reporter ist seit zehn Jahren tot, das von ihm beschriebene Zeitalter dauert an. Mehr denn je fehle Scholl-Latour dem Pluralismus in der Bundesrepublik, betont das Blatt.