Lügt Kanzler Scholz oder Präsident Putin zu Friedensverhandlungen Russland-Ukraine?

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  • Februar 16, 2024
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In dem am 9. Februar veröffentlichten Interview von Tucker Carlson mit dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, erklärte dieser in einer bisher kaum beachteten Sequenz, dass er Ende März 2022 die russischen Truppen vor Kiew aufgrund einer Absprache „mit meinen Amtskollegen aus Deutschland und Frankreich“ abgezogen hätte – als Bedingung für eine „endgültige Unterzeichnung der Dokumente“ für ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Russland und der Ukraine. Die NachDenkSeitenwollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Bundesregierung diese Darstellung von Putin bestätigen kann. Ein direktes Zitieren der Aussage Putins verhinderte der Regierungssprecher mit einer fragwürdigen Intervention.

Ein Beitrag von Florian Warweg

Hintergrund

Putin erklärte in dem am 9. Februar ausgestrahlten Interview ab Minute 54:24 im Wortlaut (Übersetzung F.W.):

„Denn uns wurde vor allem von den Europäern gesagt, dass es notwendig sei, Bedingungen für die endgültige Unterzeichnung der Dokumente zu schaffen. Meine Amtskollegen in Frankreich und Deutschland sagten: ‚Wie können Sie sich vorstellen, dass die Ukrainer einen Vertrag unterschreiben, wenn man ihnen eine Waffe an den Kopf hält? Die russischen Truppen müssen zuvor aus Kiew abgezogen werden.‘ Ich sagte: ‚In Ordnung‘ und wir zogen die Truppen ab.“

Das deutsche Transkript sowie die komplette Übersetzung des Video-Interviews finden Sie hier, die entscheidende Stelle im übersetzten Video findet sich ab Minute 53:02 – da die Voransprache von Tucker Carlson weggelassen wurde.

Die Antwort von Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Namen des Bundeskanzlers auf meine Frage, ob er diese Darstellung des russischen Präsidenten bestätigen oder dementieren kann, fiel unmissverständlich aus: „Ich kann bestätigen, dass das Unsinn ist.“

Auch meine abschließende Nachfrage, ob die Bundesregierung also definitiv sagt, dass es weder diese Aussage von Scholz bzgl. des Truppenabzugs vor Kiew als Vorbedingung für die Unterzeichnung eines Waffenstillstandsvertrages gegeben habe, noch der Kanzler in irgendeiner Form an den „Verhandlungen im Istanbuler Kontext im März 2022“ beteiligt gewesen sei, wird vom Regierungssprecher eindeutig bejaht („Korrekt!“).

Wer lügt, wer hat recht? Putin, Scholz oder beide?

Es stehen sich folglich zwei Aussagen diametral gegenüber. Der russische Präsident, der sagt, es hätte eine Einbindung von Scholz und Macron im Rahmen der Verhandlungen im März 2022 gegeben, verbunden mit dem entsprechenden Zitat, und Scholz, der via seinem Sprecher erklären lässt, die Darstellung Putins sei kompletter Unsinn.

Die NachDenkSeiten haben umgehend nach der Bundespressekonferenz am Mittwoch Presseanfragen an die russische Botschaft sowie auch an die französische Botschaft gestellt mit Bitte um Stellungnahme bzw. im Fall der französischen Botschaft mit der Bitte um Bestätigung oder Dementi der entsprechenden Ausführungen von Putin in Bezug auf Präsident Emmanuel Macron. Der Eingang der Anfragen wurde bestätigt, eine Antwort wird aber erst in ein paar Tagen zu erwarten sein. Sobald die Antwort vorliegt, werden wir unsere Leser informieren.

Voreiliges Dementi durch den Regierungssprecher?

Bis dahin bleibt nur die Recherche in öffentlich zugänglichen Quellen. Und die deuten zumindest darauf hin, dass das Dementi von Regierungssprecher Steffen Hebestreit etwas zu schnell erfolgt sein könnte, zumindest in der vorgenommenen Absolutheit.

Denn es gibt belegte Aussagen des damaligen israelischen Premierministers Naftali Bennett, die darauf hindeuten, dass Olaf Scholz sehr wohl in den Verhandlungsprozess eingebunden war. Bennett war gleich zu Beginn des Krieges vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gebeten worden, als Vermittler zwischen ihm und Putin zu agieren. Ziel war der Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens.

Knapp ein Jahr danach, im Februar 2023, sprach Bennett erstmals öffentlich über seine Verhandlungsbemühungen im Februar/März 2022 in einem Video-Interview. Laut seiner dortigen Darstellung war ein Waffenstillstand in greifbarer Nähe gewesen. Beide Seiten, sowohl Russland wie die Ukraine, seien zu erheblichen Zugeständnissen bereit gewesen.

Wortwörtlich sagt er unter anderem: „Ich hatte damals den Eindruck, dass beide Seiten großes Interesse an einem Waffenstillstand hatten.“ Doch hätten, so der ehemalige Premier weiter, vor allem Großbritannien und die USA im weiteren Verlauf den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt.

Wirklich relevant sind im Zusammenhang des Dementis des Kanzlersprechers in der BPK aber die Verweise von Bennett auf die Rolle von Deutschland und Frankreich bei seinen Verhandlungen hinter den Kulissen. Eine ausführliche Darstellung der Aussagen des ehemaligen israelischen Premiers findet sich in einem Beitrag der Berliner Zeitung vom 6. Februar 2023 mit dem Titel „Naftali Bennett wollte den Frieden zwischen Ukraine und Russland: Wer hat blockiert?

Dort heißt es unter anderem:

„Bennett flog daraufhin zunächst nach Deutschland, um mit Bundeskanzler Scholz zu sprechen, anschließend unterrichtete er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premier Boris Johnson sowie die amerikanische Regierung. Boris Johnson habe damals die „aggressive“ Position vertreten, dass „man Putin weiter bekämpfen müsse“, wogegen Scholz und Macron eher pragmatisch eingestellt waren. In der US-Regierung seien beide Positionen vertreten gewesen.“

Schaut man sich das Videointerview an, findet man all diese Aussagen bestätigt. Bennett führt ab dem Zeitstempel 2:54:42 z.B. aus, wie er nach den Verhandlungen mit Putin im Kreml direkt nach Deutschland geflogen sei und sich dort mit Scholz und dessen Sicherheitsberater getroffen hätte:

Im weiteren Verlauf erklärt der ehemalige israelische Premier dann noch: „Ich habe meine Verhandlungsbemühungen bis ins kleinste Detail mit den USA, Deutschland und Frankreich abgestimmt“.

Zudem weist Bennett mehrmals im Interview darauf hin, dass er alle seine Schritte und Gespräche (und wohl auch die Treffen mit Scholz) protokolliert habe.

Es lässt sich basierend auf den Aussagen von Bennett festhalten, dass zumindest die Darstellung von Regierungssprecher Hebestreit auf meine zweite Nachfrage, ob Olaf Scholz bei den Verhandlungen im März 2022 wirklich keinerlei Rolle gespielt habe, so nicht haltbar ist. Außer die Bundesregierung sagt, sowohl Bennett als auch Putin würden bezüglich der Rolle und Einbindung des Kanzlers in die Verhandlungen lügen.

Zudem gibt es einen weiteren Aspekt, der die Art des Dementis Hebestreits im Namen der Bundesregierung infrage stellen könnte. Bennett hat nachweislich direkt mit Selenskyj und Putin verhandelt und all dies nach eigener Darstellung „bis ins kleinste Detail“ mit Scholz und Macron abgestimmt. Es ist daher nicht per se als Option auszuschließen, dass das von Putin seinen Amtskollegen zugesprochene Zitat (Forderung nach Abzug der russischen Truppen um Kiew als Vorbedingung für Unterzeichnung) tatsächlich so im Konsultationsprozess zwischen Macron, Scholz und Bennett gefallen und von letzterem an Putin übermittelt wurde.

Zudem verliefen die Gespräche nach Darstellung von Bennett direkt zwischen ihm und Scholz sowie dessen Sicherheitsberater Jens Plötner. Es ist eher unwahrscheinlich, dass auch Hebestreit bei Gesprächen auf diesem Geheimlevel mit anwesend war. Es bliebe also auch noch die Option, dass hier Hebestreit voreilig dementierte, ohne zuvor zu dem Thema seinen Chef konsultiert zu haben.

Insgesamt bleiben derzeit folgende Optionen auf dem Tisch:

Die Lösung des Geheimnisses liegt wohl in der Offenlegung der mit großer Sicherheit existierenden Gesprächsprotokolle auf russischer, deutscher, französischer und israelischer Seite. Warten wir zunächst ab, was die russische und französische Botschaft auf die Presseanfrage der NachDenkSeiten antworten werden…

Auszug aus dem Protokoll der Regierungspressekonferenz vom 14. Februar 2024

Frage Warweg: Ich hätte noch eine Frage zu einer Aussage des russischen Präsidenten beim Interview mit Tucker Carlson. Bei Minute 54 erklärte Putin, dass er Ende März 2022 als Bedingung für eine endgültige Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens die Truppen vor Kiew aufgrund einer Absprache mit seinen Amtskollegen aus Deutschland und Frankreich abgezogen hätte. Da würde mich interessieren: Können Sie denn bestätigen bzw. dementieren, dass Bundeskanzler Olaf Scholz gegenüber Putin im März 2022 „endgültige Unterzeichnung des ausgehandelten Abkommens nur bei Rückzug der Truppen um Kiew“ erklärte?

Regierungssprecher Hebestreit: Ich kann bestätigen, dass das Unsinn ist.

Zusatz Warweg: Das ist ja jetzt keine Kleinigkeit. Deswegen würde ich mir erlauben, das ganz kurz zu zitieren, um klarzumachen, dass das wirklich so komplett dementiert werden kann.

Hebestreit: Herr Warweg, Sie versuchen jetzt irgendwie, den russischen Präsidenten – – – Ich weiß nicht, ob Sie sich das Interview angeschaut haben.

Zusatz Warweg: Ja, habe ich.

Hebestreit: Jetzt greifen Sie eine Sache heraus, und die glauben Sie?

Zusatz Warweg: Es geht ja nicht um Glauben.

Hebestreit: Ich frage nur!

Zusatz Warweg: Er müsste es ja dementieren.

Hebestreit: Ich habe Ihnen ja schon eine Antwort gegeben. Sie brauchen gar nicht zu zitieren.

Zusatz Warweg: Zum einen sitzen wir hier, um Sie zu befragen, nicht umgekehrt! Ich würde ganz kurz – – – Wenn, dann wäre es an sich am Moderator, mir das zu sagen!

Hebestreit: Aber, Herr Warweg, Sie sind doch nicht dafür da, hier jetzt Putins Propaganda groß auszubreiten.

Zusatz Warweg: Nein, genau deswegen nicht!

Hebestreit: Sie haben mir doch eine Frage gestellt, auf die ich geantwortet habe. Dann müssen Sie mir die Frage danach doch nicht noch einmal vorlesen! Ich weiß, wofür Sie das brauchen, aber es ist trotzdem so, dass      

Zusatz Warweg: Nein, das ist eine Unterstellung!

Hebestreit: Nein, das ist keine Unterstellung. Ich habe Ihnen doch die Antwort gegeben. Sie haben mich etwas gefragt, ich habe Ihnen die Antwort gegeben.

Zusatz Warweg: Das heißt, um das noch einmal ganz klarzustellen, dass die Darstellung von Putin, dass Olaf Scholz und Macron ihm gesagt haben „Zieh erst deine Truppen aus Kiew zurück, sonst keine Unterzeichnung“, die gab es in keiner Form, und Olaf Scholz war auch in keiner Form an diesen Verhandlungen im Istanbuler Kontext im März 2022 beteiligt.

Hebestreit: Korrekt.

Titelbild: Screenshot „Nachdenkseiten“, Bundespressekonferenz 14.02.2024

Der Beitrag erschien das erste Mal auf dem Portal der Nachdenkseiten: https://www.nachdenkseiten.de/?p=111101

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