Der Mainstream denkt um

In Frankreich ist Premier Bayrou mit seiner Vertrauensfrage gescheitert.  In den USA wurde Donald Trump wieder Präsident. Brandmauern gegenüber sogenannten Rechtspopulisten bieten immer weniger Schutz. Die politische Mitte verliert an Einfluss in den westlichen Gesellschaften.

Ein Beitrag von Rüdiger Rauls

Quelle: Shutterstock

Bestandsaufnahme

Die Grenzen zwischen Rechts und Links verschwimmen. Einzig die Meinungsmacher besonders in den Medien erwecken den Eindruck, Rechts und Links noch klar benennen zu können. Rechts ist für sie auf jeden Fall immer die Partei Alternative für Deutschland (AfD). Alles andere ist schwierig, widersprüchlich und nicht frei von argumentativen Eiertänzen. Doch die Kampagnen von Medien und Politik wollen nicht mehr fruchten. Nach anfänglichen Rückschlägen wächst die Zustimmung in der Bevölkerung zur AfD wieder und es scheint kein Halten mehr zu geben. 

Die Hoffnung, mit einer neuen Regierung in Deutschland diese Entwicklung zu stoppen, haben sich schneller verflüchtigt, als die meisten erwartet hatten.  Die schwarz-rote Regierung kränkelt noch stärker als die Ampel. Laut ARD-Deutschlandtrend vom September 2025 waren nur noch 22 % der Deutschen mit der Regierung zufrieden, während nur wenige Monate nach der Wahl schon 75 % mit ihr unzufrieden sind. Die Ampel hatte nach vier Monaten immerhin noch 47 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung (1). Das erbärmliche Bild der schwarz-roten Regierung liefert den stärksten Rückenwind für die AfD. 

Mit dieser Entwicklung ist Deutschland aber nicht alleine, wie Meinungsumfragen und vor allem die Wahlergebnisse der letzten Zeit zeigen. Donald Trump in den USA, Georgia Meloni in Italien und Javier Milei in Argentinien sind die bisher bekanntesten Namen, die für eine rechtspopulistische Wende stehen. Andere stehen schon in den Startlöchern, konnten aber ihre Politik in ihren Ländern noch nicht voll ausrollen. Sie unterliegen der scharfen Beobachtung hiesiger Meinungsmacher.

Hinzu kommen noch die sogenannten rechtspopulistischen oder – je nach Deutung – rechten Parteien, die im Begriff sind, jene Brand- und Schallmauern zu durchbrechen, die sie bisher noch von der Macht fernhalten. Dazu gehören die AfD in Deutschland, der Rassemblement National (RN) in Frankreich oder die Freiheitliche Partei (FPÖ) in Österreich. Es sieht so aus, als sei die politische Mitte des politischen Westens von Rechts umzingelt. 

Dagegen spielt die Linke keine Rolle mehr. Sie versteht sich vielleicht sogar mittlerweile als noch letzte Verteidigerin einer Demokratie, die sie früher einmal ablehnte. Ist diese in den vergangenen Jahren so viel besser geworden, dass sie nun von Linken – oder was sich dafür hält – mit ihrem Herzblut verteidigt wird? Offensichtlich ist die sogenannte Linke inzwischen so orientierungslos, dass sie nicht mehr weiß, wo ihr Platz ist. In dieser politischen Notlage macht man es sich am besten hinter dem Ofen der Demokratie in ihrer Restwärme gemütlich. 

Temperatursturz

Doch der Wind der Veränderung weht inzwischen auch in die abgelegensten Zufluchtsorte für Realitätsflüchtlinge, selbst in die vom Alltag abgeschirmten Parlamenten, Parteizentralen und Denkfabriken. Alle Beschwörungen über den Wert unserer Demokratie und alle Appelle zum Einsatz für sie scheinen bei den Menschen außerhalb des politischen Tingeltangels immer weniger zu verfangen. Ihnen ist Demokratie ziemlich gleichgültig. 

Sie wollen ein anständiges Leben führen mit Wohnungen und Energiekosten, die man sich noch leisten kann. Sie wollen, gute ärztliche Versorgung, intakte Schulen und Infrastruktur. Vor allem wollen sie sichere Lebensgrundlagen statt wegbrechender Arbeitsplätze. Aber die Meinungsumfragen zeigen deutlichen Unmut über die diesbezüglichen Leistungen ihrer Regierung. Dieser scheint der Krieg in der Ukraine und gegen Russland mittlerweile wichtiger zu sein als der Kampf vieler Bürger im eigenen Land um den Erhalt ihres Lebensstandards. 

Die Quittungen bekommen sie in Deutschland in den Zuwachszahlen der AfD. Im benachbarten Frankreich ist die Entwicklung schon weiter. Hier purzeln die Regierungen im Halbjahrestakt, und die aufziehenden Proteste der Franzosen lassen Politiker in Paris frösteln. Es ist kein warmer Wind, der aus den Vororten und Provinzen über die Champs Elysee fegt. Dieser Wind bläht die Segel des Rassemblement National und mit ihm kommt Marine Le Pen. 

Noch einmal hat Präsident Macron mit der Ernennung von Verteidigungsminister Sebastien Lecornu zum Premierminister seinen Hals aus der Schlinge von Neuwahlen ziehen können. Aber wie lange geht das noch gut, denn langsam gehen Macron die weißen Ritter aus. Vor allem aber kommt es zu keiner Lösung, auf die doch sowohl die Bevölkerung, aber ganz besonders die Finanzmärkte warten. 

Auf deren Beruhigung zielte vermutlich die nächtliche Bestellung eines neuen Premiers vorrangig. Die Finanzmärkte dürften aufatmen, dass ihnen mit Lecornu eine längere Phase der Unsicherheit in Frankreich erspart bleibt. Für die aufziehenden Proteste der Franzosen hat Macron keine so schnellen Lösungen parat. Aber die Hauptsache ist, dass die Finanzmärkte nicht auch noch zusätzlich Probleme bereiten. Zudem steht in den nächsten Tagen die Neubewertung des Ratings für Frankreich an.

Der Wind dreht

Unter den westeuropäischen Kollegen wird sicherlich genau beobachtet, wenn auch wenig öffentlich kommentiert, ob sich Macron aus diesen Fallstricken befreien kann. Denn viele von ihnen stehen vor ähnlichen Problemen: Den Krieg in der Ukraine will man nicht verloren geben, die Schulden wachsen, die Zinsen steigen, der Unmut der Menschen auch, und überall lauern sogenannte Rechtspopulisten darauf, die Macht zu übernehmen. Aber nicht nur die Politik, auch die Medien widmen sich ausführlich diesem Thema. 

Sehr interessant ist zu beobachten, wie sich angesichts der heraufziehenden Stürme in Frankreich und der Entwicklung der Meinungsumfragen in Deutschland bei einigen von ihnen ein Stimmungswandel gegenüber der AfD anzudeuten scheint. Unter dem Titel „Die rechtspopulistische Revolution“ hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), anders als der Titel erwarten lässt, einen auffällig sachlichen, fast verständnisvollen Kommentar von Nikolas Busse veröffentlicht. Die Zeitung war bisher kein  ausgesprochener Einpeitscher in der öffentlichen Stimmungsmache gegen die AfD, hat sie aber auch mitgestaltet. 

Wenn nun der verantwortliche Redakteur für Außenpolitik einen solchen Beitrag als Aufmacher auf der ersten Seite veröffentlicht, dann hat das einiges an Gewicht, zumal wenn dort andere Sichtweisen angeboten werden als bisher. Als intellektuelles Zentralorgan der herrschenden Klasse in Deutschland hat die FAZ aufgrund ihrer Reichweite einen Einfluss auf das Denken deutscher Führungskräfte, der nicht unterschätzt werden darf. Sie verfügt über beste Kontakte zu allen gesellschaftlichen Kräften im Land, die ihr vermutlich einen besseren Einblick in die Lage erlauben als den meisten Politikern. 

Aus Busses Beitrag entsteht der Eindruck, dass alle Maßnahmen zur Bekämpfung des sogenannten Rechtspopulismus bisher dessen Einflussgewinn nicht hatten aufhalten können. Das ist nicht neu gewesen, hat aber durch die Entwicklungen in Frankreich und die Meinungsumfragen in Deutschland nun in der Frankfurter Redaktion wohl zu der Erkenntnis geführt, dass man so nicht weitermachen kann. Denn eine Lage wie in Frankreich will man in Deutschland unbedingt verhindern. Noch ist das Volk hier ruhig, wenn es auch murrt.

Aber man hat wohl nach dem erfolglosen Einsatz anderer Mittel widerstrebend erkennen müssen, „mit „Haltung“ oder dem Beschwören einer „demokratischen Mitte“… wird man diesen Zug nicht mehr aufhalten können“(2) Denn, so die allmählich sich durch setzende Erkenntnis: „In einer Demokratie kann man vieles machen, aber nicht Politik gegen große Gruppen oder gar Mehrheiten, zumindest nicht auf Dauer.“(3)

Fehlentwicklungen

Es wird sich zeigen, ob diese veränderten Ansichten der FAZ einen Richtungswechsel darstellen oder ob es sich dabei um einen einmaligen Beitrag zur Meinungsvielfalt handelt. Es dürfte aber in Zukunft schwierig werden, alte Sichtweisen wieder aufleben zu lassen. Denn zu viel Wahres wurde gesagt, was man schon früher hätte gesagt haben können, nun aber noch schwieriger wieder aus der Welt zu schaffen ist. Denn nichts so mächtig ist wie eine Wahrheit oder Idee, deren Zeit gekommen ist. Das „gilt heute für den Rechtspopulismus.“ (4), meint Busse.

Zwar war die FAZ selbst nie Sprachrohr des Wokeismus, aber auf der Welle mitgeschwommen ist sie schon. Nun scheint man sich wie so manche andere von dieser Bewegung distanzieren zu wollen. Als wäre er aus einem Traum erwacht, wundert sich Busse über die „erstaunliche Allianz, die in den USA Wirtschaft und Wokeismus eingingen“(5). Das sei der Höhepunkt einer Entwicklung gewesen, in der die Politik „Teile des Bürgertums verlor“.(6) Busse bricht eine Lanze für jene Teile der Gesellschaft, die „in jüngerer Zeit vergessen oder gar bekämpft wurden: Arbeiter, Männer, traditionelle Familien und, besonders wirkmächtig, die Inländer.“(7)

Diese Sätze hätten auch aus einem Interview mit einem Vertreter der AfD stammen können. Daher aber weht der Wind: Busse weiß, dass nicht nur die Mitte sondern der überwiegende Anteil der Gesellschaft nicht-woke Werte und Lebensweisen pflegt. Die verschiedenen gesellschaftlichen Randgruppen, aus denen sich Grüne, Linke, die SPD, teilweise sogar auch die CDU in den vergangenen Jahren bedienen wollten, reichen nicht aus, um tragfähige Unterstützung aus der Bevölkerung zu erhalten. Das Beispiel Frankreich zeigt, dass es zum Regieren der Zustimmung der gesellschaftlichen Mehrheit bedarf, nicht irgendwelcher woken Communities. 

Ob die Mehrheiten, die man mit woker Politik vergrault hat, wieder zurück erobert werden können, ist fraglich. Für diesen Fall hält Busse noch eine andere Wahrheit bereit, die man bisher nicht verbreitet hatte, als man noch glaubte, der AfD das Wasser abgraben zu können: Für Busse „taugen oberflächliche Vergleiche mit dem Faschismus nicht viel, der Bezugspunkt liegt eher in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren“(8). Da scheint sich jemand darauf vorzubereiten, dass die Parteien der Mitte die AfD nicht mehr aufhalten können.

Wenn auch Busses Offenheit und die der FAZ dahinter vielleicht von taktischen Überlegungen geprägt sind, so hat er in der Einschätzung der AfD sicher nicht ganz Unrecht. Die Mehrheit der Wähler und Mitglieder der Partei ist weniger beseelt von der Rückkehr ins tausendjährige Reich als vielmehr von der „Rückkehr in eine Welt, wie sie in vielen westlichen Ländern vor der Globalisierung bestand.“(9). Das unterscheidet sich aber grundsätzlich vom Wesen des Faschismus.

(1) Siehe Frankfurter Rundschau vom 5.9.2025: Aktuelle Umfrage zeigt Dämpfer für Merz-Regierung im Ampel-Vergleich

(2-9) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 5.9.2025: Die rechtspopulistische Revolution) 

Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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