Schreyer: Beeinflussung der Berichterstattung „verfassungswidrig“ und „Rückfall“ ins 19. Jahrhundert / Direktor der Landesmedienanstalt: Mahnschreiben hat „womöglich Kontraproduktives erreicht“ / Multipolar erwägt gerichtliche Prüfung des Medienstaatsvertrages
Diese Meldung ist erstmalig bei Multipolar erschienen.
Multipolar weist ein Schreiben der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) als „verfassungswidrig“ zurück. Die Anstalt hatte dem Magazin in einem Brief Ende August mitgeteilt, dass mehrere Beiträge nicht der journalistischen Sorgfaltspflicht genügen würden und Ergänzungen angemahnt. Mitherausgeber Paul Schreyer verwies in seinem Antwortschreiben an die Anstalt am Dienstag (10. September) auf Artikel 5 des Grundgesetzes und erklärte, dass die Redaktion den „Versuch, unsere Berichterstattung zu beeinflussen“ ablehnt.
Verwiesen wird in der Antwort auch auf die Einschätzung eines Fachjuristen, wonach „die journalistische Sorgfaltspflicht weder für sich genommen rechtlich sanktionierbar“ ist, „noch durch eine ordnungsbehördliche Aufsicht über die Redaktionen überwacht“ werden darf. „Die Pressezensur wurde in Deutschland 1874 gesetzlich abgeschafft“, so Schreyer. Der Medienstaatsvertrag in aktuell gültiger Form – auf den sich die LfM beruft – sei „ein Rückfall hinter diese Zeit“, das Vorgehen der Behörde „ein Angriff auf die Pressefreiheit“.
Das achtseitige Antwortschreiben geht ausführlich auch inhaltlich auf die Vorwürfe ein und weist sie zurück. Streitpunkte sind unter anderem ein diskutierter Zusammenhang von Sterblichkeit und mRNA-Injektionen, das Ausmaß der Verkürzung der Lebenszeit durch die Corona-Maßnahmen sowie der politische Einfluss bei der Hochstufung der Risikobewertung durch das Robert Koch-Institut im März 2020.
Die LfM hatte außerdem kritisiert, dass ein Berliner Feuerwehrmann in einem Multipolar-Interview von niedrigen Einsatzzahlen und niedrigen Bettenauslastungen in den Berliner Krankenhäusern zu Beginn der Coronakrise gesprochen hatte. Multipolar habe es versäumt, diese Aussagen des Feuerwehrmannes „einzuordnen“. In der Antwort des Magazins wird die Aussage des Feuerwehrmannes fachlich untermauert und kommentiert, man betrachte es nicht als Aufgabe eines Journalisten, „einem Fachmann zu ‚erklären‘, was er ‚wirklich‘ erlebt“ habe. Diese „pervertierte“ Form des Journalismus habe sich von der Realität losgelöst, höre den Menschen nicht mehr zu und wolle sie stattdessen mit eigenen Narrativen „belehren“. Das, so die Redaktion gegenüber der LfM, „lehnen wir ab“.
Das Magazin „Übermedien“ hatte zuletzt berichtet (7. September), LfM-Direktor Tobias Schmid würde sich nun angesichts der Aufmerksamkeit, die der Fall öffentlich geweckt hat, laut eigener Aussage „selbstkritisch die Frage stellen müssen“, ob sein Mahnschreiben an Multipolar „womöglich auch etwas Kontraproduktives erreicht“ hat. Schmid zufolge hätten ihn „viele wütende Protestschreiben“ wegen des Vorgehens gegen Multipolar erreicht. „Ist der Fall gut genug und stabil genug, um dem Medium eine solche Bühne zu geben?“, so der Behördenleiter.
Multipolar-Mitherausgeber Paul Schreyer hatte in einem Interview am Sonntag (8. September) erklärt, der Fall gebe Gelegenheit, die Frage zu erörtern, „ob wir in unserer Gesellschaft wollen, dass es eine staatsnahe Stelle gibt, die Journalismus inhaltlich beaufsichtigt“. Multipolar sei „nicht abgeneigt, das gerichtlich überprüfen zu lassen“. Das Magazin hatte bereits im vergangenen Jahr in einer Recherche zu den Landesmedienanstalten berichtet, dass unter Juristen Zweifel daran bestehen, ob der betreffende Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags verfassungsgemäß ist.
Anhang: Antwortschreiben von Multipolar an die Landesmedienanstalt (PDF)