Das am 19. Februar 2024 von Generalleutnant Ingo Gerhartz (Generalinspekteur der deutschen Luftwaffe) mit Brigadegeneral Frank Graefe (Abteilungsleiter für Einsätze und Übungen im Kommando Luftwaffe in Berlin) und zwei weiteren Offizieren im Weltraumkommando (stationiert in Uedem, der dortigen Luftverteidigungsanlage der Bundeswehr) geführte Gespräch über die detaillierte Angriffsplanung zur Zerstörung der Krimbrücke mit deutschen Taurus-Marschflugkörpern, wird auf Regierungsebene und in den Massenmedien nur als „Abhör-Affäre“ abgetan – so, als sei es völlig normal, einen deutschen Angriff gegen Russland zu planen. Dabei sind die Auswirkungen dieses Skandals noch gar nicht abzusehen.
Ein Beitrag von Wolfgang Effenberger
Nicht auszuschließen ist, dass die Kriegs-Kuratoren in den USA nun den Deutschen (in aller Öffentlichkeit) die Schuld am von ihnen selbst verursachten und angestrebten Dritten Weltkrieg (siehe TRADOC 525-3-1 „Win in Complex World 2020-2040“) zuschieben wollen. Sollte dies gelingen, wird das Ansehen Deutschlands weltweit geschädigt. Dies würde unabsehbare Konsequenzen zur Folge haben.
Die Untersuchung dieses Skandals ist natürlich in jeder Hinsicht ergebnisoffen zu führen. Die Kernfrage um die Veröffentlichung dieses in flapsiger Form und anscheinend unter Zeitdruck geführten Gesprächs der deutschen Luftwaffenführung lautet: Hat hier jemand die Weisung erteilt, diese Besprechung gegen jeden Sicherheitsstandard so zu inszenieren? (Der Autor dieses Artikels erinnert sich an zahlreiche Bundeswehr-Manöver, wo alle dienstlichen Gespräche verschlüsselt werden mussten!). Das wären dann logischerweise die gleichen Personen, die dann auch das Gespräch aufgezeichnet und weitergeleitet haben könnten. Unter diesen Umständen würden dann russische Geheimdienste ausscheiden, denn es ist unmöglich, dass sie diesem in der Wolle gefärbten transatlantischen Quartett Weisungen hätten erteilen können. So bleiben nur die US-Amerikaner selbst, die abgehört, aufgezeichnet und an das russische Auslandsfernsehprogramm RT „Russia Today“ weitergeleitet haben. In diesem Zusammenhang sei die „Belauschung“ vieler europäischer Spitzenpolitiker durch den amerikanischen Geheimdienst NSA mit Unterstützung von Dänemark erwähnt, u.a. von Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Die Dänen hatten bereits Jahre zuvor Kenntnis von den Späh-Attacken, hielten diese jedoch geheim. Der Whistleblower Edward Snowden enttarnte 2013 die Späh-Aktionen der CIA und suchte nach einer spektakulären Flucht in Moskau um Asyl an, weil ihm Deutschland diesen Schutz verwehrte.(1)
Nach der monatelangen Diskussion um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, die eine erhebliche Bedrohung für Russland darstellte, ist nur allzu verständlich, dass der russische Aufklärungsdienst ein besonderes Auge auf die deutsche Luftwaffenführung wirft, da eben diese für Einsatzplanung und für die Koordinierung der Umsetzung verantwortlich ist.
Die Veröffentlichung dieses Skandals wird Putin durchaus gelegen kommen, kann er doch nun die aus den USA kommende, gegen Russland gerichtete Energie gegen Deutschland umlenken und somit die Kriegsbereitschaft erhöhen. Denn nicht vergessen ist der Deutsche Angriffskrieg von 1941 mit cirka 27 Millionen Toten, einer knapp dreijährigen Belagerung von Leningrad (heute St. Petersburg) mit einer Million Hungertoten (Putins Familie kommt aus Leningrad), einem weitgehend zerstörten europäischen Russland und cirka 3,5 Millionen von Deutschen ermordeten russischen Kriegsgefangenen (Genickschuss-Anlage und „Vernichtung durch Arbeit“ (2)).
Es war die Sowjetunion, die die deutsche Wiedervereinigung und den „Zwei plus Vier“ -Vertrag ermöglicht und dann ihre Truppen aus der ehemaligen DDR abgezogen hatte. In seinen Reisen in die damalige Sowjetunion (1977) und nach Russland (2017/2022) hat der Autor dieses Artikels nie irgendwelche Ressentiments zu spüren bekommen – ganz im Gegenteil!
Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius wertet die Veröffentlichung des internen Gesprächs durch Russland als „hybriden“ Angriff zur Desinformation. „Es ist Teil eines Informationskrieges, den Putin führt“, sagte der SPD-Politiker. „Es geht um Spaltung. Es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben. Und dementsprechend sollten wir besonders besonnen darauf reagieren, aber nicht weniger entschlossen.“ Es gehe jetzt auch darum, „…Putin nicht auf den Leim zu gehen. Dieser versuche, unsere Innenpolitik auseinanderzutreiben“.(3) Worum scheint es Herrn Pistorius zu gehen? Er will Deutschland kriegstüchtig machen! Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will den Krieg weiter eskalieren lassen. Anlässlich seines Besuches am 6. März 2024 beim Deutschen Rüstungskonzern MBDA (Produzent des Marschflugkörpers Taurus) im bayerischen Schrobenhausen hielt er eine flammende Rede für die Lieferung des Marschflugkörpers an die Ukraine: „Diese Waffe muss zum Einsatz kommen …Taurus ist die abschreckendste Waffe für Verteidigungsfähigkeit, die es in Deutschland gibt“(4) sagte Söder. Deutschland habe eine moralische Verpflichtung, aber auch ein eigenes Interesse, der Ukraine zu helfen.
An dieser Stelle erscheint es zwingend notwendig, Herrn Söder an die Präambel der Verfassung des Freistaates Bayern (kurz: BV, BayVerf oder Verf BY) zu erinnern: „Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechts dauernd zu sichern, gibt sich das bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung“.
Fischers Drückebergerei „ist nicht ehrenrührig, er adelt“
Mit seiner Forderung liegt Söder auch auf der Linie von Außenministerin Annalena Baerbock. Sie fordert für die Ukraine mehr Munition und mehr weitreichende Waffen, zu denen ja auch die Taurus-Marschflugkörper gehören.(5) Während nach neuester Umfrage der im Auftrag von ARD-„Tagesthemen“ und WELT erhobenen Infratest-Umfrage Dimap 61 Prozent der deutschen Bevölkerung Lieferungen des Marschflugkörpers Taurus an die Ukraine ablehnen, befürworten 53 Prozent der Grünen-Anhänger – bei den FDP-Wählern ist es die Hälfte – die Lieferung dieser Präzisionswaffen an die Ukraine.(6) Die Grünen als Kriegspartei? Dieser von den grünen „Friedensaposteln“ ausgehende Bellizismus war schon in der rot-grünen Koalition (Herbst 1998) zu beobachten. Der damalige Außenminister der Grünen Joschka Fischer führte Deutschland zusammen mit der US-Außenministerin Madeleine Albright in einen Angriffskrieg gegen Restjugoslawien (Serbien und Montenegro), zu dem die Vereinten Nationen nicht ermächtigt hatten – der erste Krieg einer Vetomacht des UN-Sicherheitsrats ohne UN-Resolution und damit ein rechts- und völkerrechtswidriger Angriffskrieg, der nach Artikel 26 des Grundgesetzes strafbewehrt war. Unter Missachtung der UN-Charta und in bewusstem Verstoß gegen das Völkerrecht wurde kurzerhand noch im Frühjahr 1999 neues „Recht“ geschaffen. Die NATO-Strategie MC 400/2 verankert auf Dauer die „Kriseninterventionsrolle“ des westlichen Verteidigungsbündnisses. Seit 1999 behält sich die NATO das Recht vor, im Ausnahmefall und auf der Basis eines Konsensbeschlusses der Bündnispartner auch ohne Mandat Kontinent-übergreifend militärisch zu intervenieren. Das war die Zeitenwende hin zur sogenannten „Regelbasierten Ordnung“. Seither führen die USA ihre Kriege (Irak, Libyen, Syrien) ohne UN-Mandat. An dieser Zeitenwende von 1999 hatte Joschka Fischer maßgeblichen Anteil.
Nun kritisiert Herr Fischer Bundeskanzler Olaf Scholz im Zusammenhang mit dessen Erklärungen zu Taurus: „Ich verstehe nicht, warum der Kanzler jetzt erst damit rauskam. Seine Gründe hätte ich als Bürger gerne sehr viel früher gewusst.“ Laut Fischer habe Scholz am 27. Februar 2022 mit seiner Rede zur Zeitenwende (weil Russland als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat die Ukraine angegriffen habe) Führungskompetenz gezeigt. „Seitdem hätte die Bevölkerung gerne gewusst“, so Fischer „Was folgt daraus? Mit wem haben wir es zu tun? Was sind die Herausforderungen? Mit Aussitzen werden wir das Problem nicht los“.(7) Der frühere Grünen-Minister, in dessen Regierungszeit 1999 der erste und völkerrechtswidrige deutsche Kampfeinsatz nach 1945 fiel, sieht ein großes Problem darin, „…dass wir kaum einen Bezug haben zu dieser neuen Realität“ (8). Putin werde aber „…nicht aufhören … Wir erleben in der Ukraine den ersten russischen Revisionskrieg, aber das wird nicht der letzte sein“. Deshalb fordert Fischer, der selbst keinen Wehrdienst abgeleistet hat, die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland.
Noch 1991, also mitten im Golfkrieg, pries er jene deutschen Männer, die sich dem Kriegsdienst entziehen. Der Vorwurf der Drückebergerei „ist nicht ehrenrührig, er adelt“(9). Damit meinte er vermutlich auch sich selbst.
Die Zeitenwende ab 24. März 1999: NATO-Angriff auf Restjugoslawien ohne UN-Mandat
Ende Januar 1999 berichtete CNN über Kriegsvorbereitungen gegen Restjugoslawien (Serbien und Montenegro). Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright erkannte geostrategische Vorteile, welche die Vereinigten Staaten aus dem Kosovo-Konflikt ziehen können: Erweiterung des NATO-Bündnisses in Richtung Osteuropa samt Aufbau von Militärbasen und Zugriff auf den strategisch bedeutsamen Balkan mit seinen Meerzugängen in Albanien. In Rambouillet wurde derweil am 15. März 1999 weiterverhandelt. Während die kosovo-albanische Delegation drei Tage später den von der Balkan-Kontaktgruppe ausgearbeiteten Vertragsentwurf unterzeichnete, verweigerten die Serben ihre Unterschrift wegen eines für sie nicht verhandelbaren Anhangs. Darin hieß es unmissverständlich: „Das NATO-Personal soll sich mitsamt seinen Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen und Ausrüstung innerhalb der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien inklusive ihres Luftraums und ihrer Territorialgewässer frei und ungehindert sowie ohne Zugangsbeschränkungen bewegen können“.(10) Obendrein sollte die NATO in allen rechtlichen Verfahren, gleichgültig ob in zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlicher Hinsicht, Immunität genießen. Diesen „Unterwerfungs“-Anhang erwähnte Außenminister Fischer sowohl in den eigenen Kabinett-Sitzungen als auch in den öffentlichen Parlamentsdebatten mit keinem Wort. Finanzminister Lafontaine etwa erfuhr davon erst viel später aus der Presse, ebenso die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, die äußerte: „Hätte ich das gewusst, hätte ich dem Kriegseinsatz nicht zugestimmt.“(11) Und Rudolf Augstein urteilte: „Die USA hatten in Rambouillet militärische Bedingungen gestellt, die kein Serbe mit Schulbildung hätte unterschreiben können“.(12)
In diesen hektischen Tagen kurz vor dem Beginn des Jugoslawienkriegs verabschiedete der US-Kongress am 19. März 1999 das sogenannte „Seidenstraßen-Strategiegesetz“. Darin definierten die USA umfassende wirtschaftliche und strategische Interessen in der Region vom Mittelmeer bis nach Zentralasien. In Übereinstimmung mit dem von Zbigniew Brzeziński entwickelten geostrategischen Konzept zielte das Gesetz darauf ab, Konkurrenten im Ölgeschäft, darunter Russland, Iran und China, zu schwächen und den Bereich vom Balkan, dem Schwarzen Meer bis hin zur chinesischen Grenze in einen „Flicken-Teppich“ amerikanischer Protektorate zu verwandeln. Die alte historische Seidenstraße endete im Donaudelta – so erklären sich die US-Aktivitäten auf dem Balkan und auch der Krieg gegen das sozialistische, mit China befreundete Restjugoslawien selbst. Der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher schrieb im Vorwort zu Brzezińskis Buch „Die einzige Weltmacht„: „Will Amerika auch künftig seine Weltmachtstellung behalten, so muss es seine ganze Aufmerksamkeit diesem Gebiet [Eurasien] zuwenden. Hier leben 74 Prozent der Weltbevölkerung, hier liegt der größte Teil der natürlichen Weltressourcen einschließlich der Energievorräte, und hier werden 60 Prozent des Weltbruttosozialproduktes erwirtschaftet. Im Raum von Lissabon bis Wladiwostok entscheidet sich deshalb das künftige Schicksal Amerikas“.(13)
Ende April 2000 folgte der Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer der Einladung des US-Außenministeriums und des „American Enterprise Institute“ zu einer Konferenz nach Bratislava. Hier wurde Klartext über die amerikanischen Pläne für die Neuordnung Europas gesprochen. Das veranlasste Wimmer, am 2. Mai 2000 Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Brief über die Inhalte dieser Konferenz zu informieren. An erster Stelle wurde verlangt, im Kreis der Alliierten die möglichst baldige völkerrechtliche Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo vorzunehmen.(14) Da diese Forderung de facto die Aufkündigung der Schlussakte von Helsinki bedeutet hätte, erklärten die Veranstalter, dass die Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb jeder Rechtsordnung, vor allem der Schlussakte von Helsinki, stehe. Der Krieg sei geführt worden, um eine Fehlentscheidung von General Eisenhower aus dem Zweiten Weltkrieg zu revidieren. Eine Stationierung von US-Soldaten müsse aus strategischen Gründen dort nachgeholt werden. Der Krieg gegen Jugoslawien sei ein Präzedenzfall, auf den sich die NATO jederzeit berufen könne und auch werde.
Auch weitere Forderungen waren vom „Feindbild Russland“ geprägt. Die anstehenden NATO- Erweiterungen sollten die Russische Föderation spürbar in die Zange nehmen: Nördlich von Polen gelte es, die vollständige Kontrolle über den Zugang zur Ostsee (via St. Petersburg) zu erhalten und die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie sie in der Hochzeit der römischen Ausdehnung gewesen ist. Zur Durchsetzung dieser Ziele sei dem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang vor allen anderen Bestimmungen oder Regeln des Völkerrechts zu geben.
Zum Abschluss seines Briefes an SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder nimmt Willy Wimmer eine Bewertung der Bratislava Konferenz-Inhalte vor und schreibt: „Die amerikanische Seite scheint im globalen Kontext und zur Durchsetzung ihrer Ziele bewusst und gewollt die als Ergebnis von zwei Kriegen im letzten Jahrhundert entwickelte internationale Rechtsordnung aushebeln zu wollen. Macht soll vor Recht gehen. Wo internationales Recht im Weg steht, wird es beseitigt. Als eine ähnliche Entwicklung den Völkerbund traf, war der Zweite Weltkrieg nicht mehr fern“.(15)
Nur wenige Stunden vor dem 2. Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Begleitung des Verteidigungsministers Boris Pistorius, des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev und des Kommandeurs des Special Training Command, Generalleutnant Andreas Marlow das Ausbildungszentrum Nord in Klietz im Elb-Havel-Winkel. Dort werden ukrainische Soldaten unter anderem am Kampfpanzer Leopard 1 A5 ausgebildet.
Insgesamt soll die Bundeswehr seit Beginn der Mission im November 2022 nach eigenen Angaben fast 12.000 ukrainische Soldaten ausgebildet haben. Der Besuch von Steinmeier und Pistorius diente zudem der Information über die mobilen Logistiktruppen der Bundeswehr-Streitkräftebasis, die im Zusammenhang mit dem in Entstehung begriffenen Operationsplan der Bundeswehr von zentraler Bedeutung sind. Ein strahlender Steinmeier wies in Feldherren-Manier erneut Russland die politische Verantwortung für den Ukrainekrieg zu.(16) Dabei hätten Steinmeier aufgrund seiner Nähe zu allen Kriegen seit 1999 die Zusammenhänge und Hintergründe bekannt sein.
Ein Bundespräsident mit fragwürdiger politischer Vergangenheit
Am 24. August 2021 sagte Bundespräsident Steinmeier anlässlich der Flucht des westlichen Militärs nach 20 Jahren aus Afghanistan in Berlin: „Wir erleben in diesen Tagen eine menschliche Tragödie, für die wir Mitverantwortung tragen, und eine politische Zäsur, die uns erschüttert und die Welt verändern wird“.(17) Steinmeiers Analyse ist durchaus zutreffend. Nicht zutreffend ist jedoch seine Aussage, dass „…wir Mitverantwortung tragen“. Doch wer ist „wir“? Sollte Steinmeier in der 3. Person gesprochen haben, dann mag es sogar stimmen. Er hat während des gesamten Afghanistan-Einsatzes an exponierter Stelle alle Maßnahmen mitgetragen, wenn nicht sogar ermöglicht: Von 1999 bis 2005 war er Chef des Bundeskanzleramtes unter Gerhard Schröder, von 2005 bis 2009 (Kabinett Merkel I) Außenminister und seit 2007 auch Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Seine zweite Amtszeit als Außenminister dauerte von 2013 bis 2017 (Kabinett Merkel III). Nach der Niederlage als Kanzlerkandidat der SPD bei der Wahl 2009 war er bis 2013 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und damit auch Oppositionsführer.
Im Frühjahr 2007 erhielt Außenminister Steinmeier vom militärischen Berater des deutschen Botschafters in Kabul, Oberstleutnant Jürgen Heiducoff, eine aktuelle Analyse der Lage in Afghanistan, die von den Medien als „Brandbrief aus Kabul“ bezeichnet und am 31. Mai 2007 in einer ARD-Monitorsendung thematisiert wurde. Bevor Oberstleutnant Heiducoff seine neue dienstliche Verwendung an der Botschaft antrat, war er während seines fast dreijährigen Einsatzes in Afghanistan auch Zeuge seiner Auffassung nach unverhältnismäßiger militärischer Gewalt durch westliche Verbände gegenüber afghanischen Zivilisten geworden. Er empfahl schon frühzeitig eine strategische Neuausrichtung, die eine Stärkung der Zivilgesellschaft in den Vordergrund stellen sollte. Da 2007 die Situation zu eskalieren begann, wandte er sich direkt an seinen Vorgesetzten, den Außenminister Steinmeier: „Herr Minister, ich beobachte eine wachsende Dissonanz zwischen den Zielen unserer Afghanistan-Politik und der militärischen Praxis. Ich stelle fest, dass in Unterrichtungen von ISAF für Politiker und Parlamentarier die militärische Lage unzulässig geschönt dargestellt wird. Auch deutsche Generäle beschönigen oder verschweigen eigene Probleme. Die ständigen Forderungen nach Truppenverstärkung, die steigenden Kosten des militärischen Engagements, das Anwachsen eigener Verluste und die wachsende Zahl ziviler Opfer verdeutlichen die Ungeeignetheit und Ausweglosigkeit der militärischen Gewalt als Lösung der inneren und äußeren gesellschaftlichen Probleme Afghanistans.
Wenn immer mehr zivile Opfer und unsägliches Leid durch die eigenen Militärs unter der Zivilbevölkerung produziert werden, dann eignet sich das Mittel der militärischen Gewalt nicht, um die Probleme in diesem Land zu lösen. … Tragen Sie bitte dazu bei, die weitere Eskalation der militärischen Gewalt in AFG zu stoppen“.(18)
Nun, Steinmeier setzte Heiducoff kurzerhand vor die Tür (der deutschen Botschaft in Kabul) und hörte auf die Offiziere, die dem einfachen Dreisatz folgend immer mehr und schwerere Waffen wollten – und bekamen. Diese Offiziere machten im Gegensatz zum Militärattaché Heiducoff Karriere. Das traurige Ende ist bekannt. Auf einem Friedensforum hatte Jürgen Heiducoff 2011 diesen Brief innerhalb seines Vortrags verlesen. Am Schluss appellierte er: „Dies ist nicht mein Krieg! Dies ist nicht unser Krieg! Wir lassen es nicht zu, dass unsere demokratischen Werte in Kriegen der NATO vor aller Welt diffamiert werden. Wir fordern von unseren Politikern: Beendet den Krieg in Afghanistan, verhindert weitere Kriege der NATO, folgt den Vorgaben unseres Grundgesetzes. KRIEG IST NIE DIE LÖSUNG!“(19)
Welche Reaktion gab es 2007 von Steinmeier? Oberstleutnant Heiducoff wartet bis heute noch auf eine Antwort von seinem damaligen vorgesetzten Außenminister. Dafür folgten 2007 dienstrechtliche Auseinandersetzungen, die 2008 zur vorzeitigen Ablösung Heiducoffs führten. Ein Zusammenhang zwischen der Ablösung und seiner Kritik an der Kriegsführung in Afghanistan wurde vom Dienstherrn bestritten. Er stellt einen solchen als gegeben dar, und weist darauf hin, dass ihm gegenüber keinerlei Disziplinarverstöße oder Fehler, die zu seiner Ablösung hätten führen müssen, geltend gemacht wurden. Heiducoff wurde auch nicht mehr befördert, seine Kameraden, die sich für eine weitere militärische Eskalation ausgesprochen haben, hingegen schon. Höhepunkt dieser fatalen deutschen Politik ist die Beförderung von Oberst Klein zum General, der am 4. September 2009 den Luftangriff gegen zwei im Morast stecken gebliebene Tanker befohlen hatte, bei dem offiziell 91 Tote, darunter Dutzende Zivilisten, zu beklagen waren (unabhängige Zählungen gehen von 142 Toten aus).(20)
Das couragierte Agieren des damaligen Oberstleutnant Jürgen Heiducoff verdient Respekt und die unreflektierten Angriffsphantasien des Luftwaffen-Quartetts Verachtung, sind sie doch ein eklatanter Verstoß gegen Grundgesetz und Völkerstrafgesetz:
Artikel 26, Satz 1 des Grundgesetzes besagen: (1) „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammen-leben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen“.
§ 13 des Völkerstrafrechts besagt: „Demnach werden Personen, die Angriffshandlungen auf ein anderes Land planen, mit mindestens zehnjähriger Haft bestraft. In Absatz 2 von § 13 heißt es dazu (2): „Wer einen Angriffskrieg oder eine sonstige Angriffshandlung im Sinne des Absatzes 1 plant, vorbereitet oder einleitet, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft“.
Das alles ist dem Bundespräsidenten Steinmeier bekannt. Bisher enthielt er sich jeder Stellungnahme zu den die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdenden Angriffsplänen. Dabei hat er bei Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates folgenden Eid abgelegt: „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe“.
Putins Rede zur Lage der Nation am 29. Februar 2024
Sechs Tage nach dem Truppenbesuch des deutschen Bundespräsidenten in Klietz und zehn Tage nach dem „Gespräch“ der deutschen Luftwaffenführung hielt der Präsident der Russischen Föderation, Vladimir Putin, eine bemerkenswerte Rede zur Lage der Nation. Aus ihr lassen sich durchaus Rückschlüsse zum weiteren Vorgehen Russlands ziehen. Putin äußerte den Verdacht, dass das erklärte Interesse der derzeitigen US-Regierung, „…mit uns über strategische Stabilität zu diskutieren, lediglich Demagogie ist. Sie wollen einfach ihren Bürgern und der Welt, insbesondere im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen, zeigen, dass sie weiterhin die Welt beherrschen, dass sie mit den Russen reden würden, wenn es ihnen nützt, und dass es nichts zu reden gibt und sie ansonsten versuchen werden, uns eine Niederlage zuzufügen“.(21)
Dieses „Business as usual“ sei inakzeptabel, stellt Putin fest und umreißt dann die eigene Position klar und deutlich: „Wenn man über Sicherheits- und Stabilitätsfragen diskutieren will, die für den gesamten Planeten von entscheidender Bedeutung sind, muss dies im Paket geschehen. Dazu gehören natürlich alle Aspekte, die mit unseren nationalen Interessen zu tun haben und sich direkt auf die Sicherheit unseres Landes, die Sicherheit Russlands, auswirken. Wir sind uns auch der Versuche des Westens bewusst, uns in einen Rüstungswettlauf zu verwickeln, der uns erschöpft und die Strategie widerspiegelt, die sie in den 1980er Jahren erfolgreich gegenüber der Sowjetunion angewandt haben“.(22)
Aus der Sicht Putins hat der Westen die Konflikte in der Ukraine (erste farbige Revolution Ende 2004, Maidan-Putsch 2014), im Nahen Osten und in anderen Regionen der Welt provoziert. Nun hätten sie die Dreistigkeit zu behaupten, „…dass Russland die Absicht hat, Europa anzugreifen. Können Sie das glauben? Wir alle wissen, dass ihre Behauptungen völlig unbegründet sind. Und gleichzeitig wählen sie Ziele aus, die sie auf unserem Territorium angreifen wollen, und denken über die wirksamsten Mittel der Zerstörung nach. Jetzt haben sie begonnen, über die Möglichkeit der Entsendung von NATO-Militärkontingenten in die Ukraine zu sprechen. Aber wir erinnern uns daran, was mit denjenigen geschehen ist, die ihre Kontingente schon einmal in unser Land geschickt haben. Heute werden potenzielle Aggressoren mit weitaus schwerwiegenderen Konsequenzen rechnen müssen. Sie müssen begreifen, dass wir auch über Waffen verfügen – ja, sie wissen das, wie ich gerade gesagt habe -, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können. Alles, was sie jetzt erfinden, um die Welt mit der Drohung eines Konflikts mit Atomwaffen zu erschrecken, der möglicherweise das Ende der Zivilisation bedeutet! Ist ihnen das nicht klar? Das Problem ist, dass es sich um Menschen handelt, die nie mit tiefem Unglück konfrontiert waren; sie haben keine Vorstellung von den Schrecken des Krieges“.(23)
Das gilt in Deutschland besonders für die Bellizisten aus der grünen Partei, die in Jugendjahren durchwegs Kriegs- bzw. Wehrdienst verweigerten und heute die Wehrpflicht fordern. Und das angesichts eines drohenden Krieges, in den Deutschland von anderen Mächten dank willfähriger Politiker hineingezogen wurde. Das gilt in Deutschland besonders für die Bellizisten aus der grünen Partei, die in Jugendjahren durchweg Kriegs- bzw. Wehrdienst verweigerten und heute die Wehrpflicht fordern. Und das angesichts eines drohenden Krieges, in den Deutschland von anderen Mächten dank willfähriger Politiker hineingezogen wurde, und zwar mithilfe einer US-affinen Regierung, die von der Politikerin Sahra Wagenknecht als die dümmste Europas bezeichnet wurde.(24)
Schwerpunktverlagerung des Krieges nach Asien
Sergei Strokan, Kolumnist der russischen Zeitung Kommersant, führt den überraschenden Rücktritt der stellvertretenden US-Außenministerin Victoria Nuland, bisher treibende Kraft des 2013 eingeleiteten Maidan-Putsches und Motor der bisherigen Eskalation im Ukraine-Krieg, auf das Scheitern des “antirussischen Kurses” und des gesamten US-amerikanischen “ukrainischen Projekts” zurück. Die Ernennung des für die Indo-Pazifik-Politik zuständigen Kurt Campbell zum zweithöchsten Beamten im Außenministerium signalisiert Washingtons Schwerpunktverlagerung nach Asien. Die “Chef-Russlandhasserin” wird durch einen “China-Hasser” ersetzt. Die 35-jährige Karriere von Frau Nuland im US-Außenministerium ist beachtlich, was auch US-Außenminister Blinken würdigte. Er erinnerte daran dass sie unter sechs US-Präsidenten und zehn Staatssekretären gedient hatte, und erklärte, dass sie in ihrem letzten Amt in der Regierung von Joe Biden den Wunsch verkörpert habe, “Amerikas globale Führungsrolle” wiederherzustellen. Die Hauptaufgabe, an der Nuland in den letzten Jahren gearbeitet habe, sei die “strategische Niederlage” Russlands” gewesen.
Bei führenden russischen Politikern, Diplomaten, Experten und Medien löste die Nachricht eine Lawine von Reaktionen aus. Laut der Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, war Nuland gezwungen, wegen des Scheiterns von Bidens Russland-Kurs zurückzutreten. “Dies ist ein Scheitern der mit Nuland verbundenen Politik, denn sie war die zentrale Figur hinter der russophoben Politik gegenüber unserem Land. Diese ganze Geschichte war mit Nuland verbunden”, sagte Sacharowa. Ihr zufolge war die scheidende stellvertretende US-Außenministerin “nicht nur eine hochrangige Vertreterin des Außenministeriums, sondern eine Schlüsselfigur in der behördenübergreifenden Zusammenarbeit der USA”. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums fügte hinzu: “Sie war eine Koordinatorin der antirussischen Stimmung und der antirussischen Politik der Vereinigten Staaten, insbesondere im Zusammenhang mit der Ukraine. Ich kann nicht sagen, dass sie eine Ideologin war. Es gibt Leute da draußen, die uns mehr hassen, aber sie war wirklich eine Koordinatorin, sie wird mit dieser Politik in Verbindung gebracht. Daher hat man sich von ihr verabschiedet.“(25)
Was bedeutet die neue US-Politik? Die USA werden nun den Krieg gegen Russland weitgehend den europäischen NATO-Staaten übertragen. Daher auch die gesteigerte Diskussion um Bodentruppen in der Ukraine. Diese Truppen werden vermutlich vorher aus dem NATO-Unterstellungsverhältnis gelöst und mittels bilateraler Verträge in der gesamten Ukraine – und zwar außerhalb der Frontlinie – eingesetzt, um ukrainische Truppen für die Front freizusetzen. In diesem Zusammenhang erklären sich dann auch die Überlegungen der deutschen Luftwaffenführung. So wird der Krieg in der Ukraine eine neue Dimension annehmen – während sich die USA auf den Krieg mit China vorbereiten.
Quellen:
2)Nach Vorgabe des SS-Reichssicherheitshauptamtes trat der Tod eines schwerarbeitenden russischen Kriegsgefangenen bei unter 1000 Kcal/Tag nach 9 Monaten ein.
www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/dmitri-medwedew-rastet-aus-die-drohungen-eskalieren-deutschland-bereitet-sich-auf-krieg-gegen-russland-vor/ar-BB1jhS3M?ocid=msedgntp&pc=ACTS&cvid=38a1d5bc12e34fcaa2cfefbab8b12e22&ei=93
3)www.br.de/nachrichten/bayern/soeder-zu-taurus-diese-waffe-muss-zum-einsatz-kommen,U69oaGd
4)www.sueddeutsche.de/politik/mehr-munition-mehr-weitreichende-waffen-baerbock-fordert-mehr-ukraine-hilfe-1.6431574
6)www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/nur-grünen-anhänger-mehrheitlich-für-taurus-lieferungen-an-ukraine/ar-BB1jv46t?ocid=msedgntp&pc=ACTS&cvid=fa5501c7acef4490bcbdfadbcaebecba&ei=12
7)www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/joschka-fischer-kritisiert-scholz-und-plaediert-fuer-wehrpflicht-123812.html
8)Ebda.
9)www.spiegel.de/politik/deutschland/zivildienst-hat-sich-joschka-fischer-gedrueckt-a-128137.html
10)Wolfgang Effenberger: Schwarzbuch EU & NATO: Warum die Welt keinen Frieden findet. Höhr-Grenzhausen 2020, S. 240
11)Ebda.
12)Ebda.
13)Ebda. S. 241
14)Wolfgang Effenberger/ Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure. Höhr-Grenzhausen 2014. Briefabdruck auf S. 547
15)Zitiert aus „Junge Welt“ vom 23. Juni 2001
16)www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/stendal/elb-havel/klietz-ausbildung-soldaten-ukraine-100.html
18)Friedensforum Ausgaben 6/2011 https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/der-tod-ist-ein-meister-aus-deutschland
19)Ebda.
21)www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/wladimir-putin-rede-militaereinsatz-ukraine-wortlaut
22)Ebda.
23)Ebda.
24)www.youtube.com/watch?v=yJm4MTBfTOc (26.2.2024)
25)linkezeitung.de/2024/03/09/sergei-strokan-ist-das-der-wahre-grund-warum-russlandhasserin-victoria-nuland-aufhoert/
Zum Autor: Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen von ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie „Die unterschätzte Macht“ (2022).