Der Wahl-O-Mat 2025 ist ein voller Erfolg: Neun Millionen Mal wurde er am ersten Tag benutzt. Die Anwendung ist Ausdruck einer sich vertiefenden Alternativlosigkeit.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente
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Zu jeder Wahl, die ins Land steht, bietet die Bundeszentrale für politische Bildung, die dem Faeser-Ministerium unterordnet ist, einen Wahl-O-Mat an, um den Wählern eine Orientierung zu bieten. Nun könnte man freilich fragen, wie schlimm es um das Land steht, wenn politisch mündige Menschen eine Applikation benötigen, um sich ihrer Wahlentscheidung bewusst zu werden. Insbesondere wenn ältere Menschen so tun, als habe ihnen der Wahl-O-Mat Erkenntnisse geliefert, auf deren Grundlage sie nun wählen möchten.
Der Wahl-O-Mat ist die brutalstmögliche Vereinfachung von politischen Debatten und Streitpunkten. Aus diesem Grund ist er manipulativ – und nicht etwa, weil das Bundesinnenministerium die Auslesung der Anwenderpräferenzen im Wahl-O-Mat so bewerten lässt, dass es Resultate zeitigt, die man dort gerne sähe.
Einfache Antworten für komplexe Themen
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Ziehen wir mal als Beispiel die achte Forderung der diesjährigen Ausgabe heran: »Energieintensive Unternehmen sollen vom Staat einen finanziellen Ausgleich für ihre Stromkosten erhalten.«Bei jeder Forderung kann man drei Bewertungen vornehmen: »stimme zu«, »neutral« oder »stimme nicht zu«. Egal wie man hier reagiert, alle drei Reaktionen erlauben nicht, die Situation tiefergehend einzuordnen. Gemeint ist bei der Forderung ja, dass Unternehmen in Deutschland unter sehr hohen Energiekosten leiden – Privathaushalte tun das auch, spielen aber an dieser Stelle mal keine Rolle. Die Energiekosten sind ein Ergebnis einer irrgeleiteten Sanktionspolitik gegen Russland. Stimmt man der Forderung zu, sagt man damit, dass man diese Außenpolitik duldet und die wirtschaftlichen Folgen wegsubventionieren sollte – lehnt man jedoch ab, stimmt man der Außenpolitik letztlich aber auch zu, ignoriert dabei aber die Deindustrialisierung.
Kurz und gut, die eigentliche Vorgeschichte, die zu einem massiven Anstieg der Energiepreise führte, lässt der Wahl-O-Mat unberücksichtigt. Er bewegt sich folglich in dem engen Meinungskorridor, den Politik und Presse gerade noch zulassen. Wie unterstützt man also noch unentschiedene Wähler, wenn man die Tiefe ausblendet und grob vereinfacht?
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Ähnlich bei einem anderen Beispiel, die elfte Forderung des 38 Punkte umfassenden Katalogs: »Deutschland soll weiterhin die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland fördern.« Hierbei gibt es keine Kompromisse. Ein Großteil der Bürger ist sicherlich nicht grundsätzlich dagegen, würde aber die Anwerbung an Bedingungen stellen. So wäre etwa eine Frage, wie man die mit der Anwerbung einhergehende Migration integrativ umsetzen will. Und wie viele Menschen sollten es jährlich maximal sein, die in unser Land kommen? Und noch so eine Frage: Wie gedenkt Deutschland den Volkswirtschaften, denen man das Fachpersonal entzieht, zu entschädigen? Nichts davon kommt hier auch nur im Ansatz durch.
Eine App für die Alternativlosigkeit
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Punkt 14: »Der Bund soll mehr Kompetenzen in der Schulpolitik erhalten.« Dafür könnte man sein, eine zentralisierte Bildungsinitiative könnte sicherlich nicht schaden – schon um die Abschlüsse bundesländerübergreifend anzuerkennen. Nur lohnt es sich für einen mündigen Bürger auch hier, einige konkrete Nachfragen anzustellen: Wird der Bund damit auch politische Beschulung in die Hand nehmen, so wie wir das in den letzten Jahren erlebt haben, als beispielsweise die Kultusminister der Bundesländer geschlossen die Transagenda in den Schulbetrieb brachten und damit ein Weltbild vermittelten, das die Mehrheit der Bevölkerung nicht teilt und in großen Teilen ablehnt? Wie gedenkt man, den Einfluss des Bundes und der jeweiligen Regierungspolitiker so einzudämmen, dass sie die Schule nicht zu einem Hort der Manipulation umfunktionieren?
Kurz und gut: Der Wahl-O-Mat ist ein raffiniertes Instrument, um besonders jungen Wählern das Gefühl zu geben, in die tiefe Politik einzusteigen, während sie noch nicht mal an der Oberfläche kratzen. Eine Vertiefung der jeweiligen Problematiken ist nicht vorgesehen, Argumente spielen so gut wie keine Rolle – man spielt postfaktisch mit Bauchgefühlen und betreibt eigentlich das Geschäft der Entpolitisierung. Aber das unter dem Deckmantel der politischen Bildung.
Seit Jahren erleben westliche Gesellschaften die Etablierung der Alternativlosigkeit. In Deutschland ist dieses Wort stark mit Angela Merkel verbunden, die dieser Tage, indem sie ihre Partei vom Alterssitz aus fernsteuert, nochmal beweist, wie sie alternative Vorgehensweisen in der Politik betrachtet. Doch schon vor ihrer Kanzlerschaft, als die rot-grüne Koalition ihre Agenda-Politik gestaltete, lief man auf die Alternativlosigkeit zu. Das heutige Deutschland ist ein Produkt dieser Vorläufer. Außerhalb sehr enger Grenzen gibt es keine Lösungsansätze mehr – und der Wahl-O-Mat zeigt, wie man politische Bildung wirklich begreift in diesen alternativlosen Zeiten.
Die totalitäre Wahlhilfe
Denn wer einerseits so tut, als gehe es nun um das Ganze, um die Rettung der Demokratie – um dann unter lautem Mediengetöse ein Angebot wie den Wahl-O-Mat an die Hand zu geben, weiß entweder nicht, was Demokratie in der Tat bedeutet. Oder er tut das gezielt, weil er Demokratie als Simulation begreift. Grundsätzlich ginge es dabei aber um den Austausch von Argumenten, um Beleuchtung bestimmter Sachfragen, die ganz oft eben nicht mit Zustimmung oder Ablehnung beantwortet werden können, wie es das Konzept des Wahl-O-Mates ist. Zwischen den Positionen nach Antworten zu finden, eben auch nach Kompromissen: Das ist es, was demokratischen Diskurs ausmachen sollte – wer das übergeht, hat das System verwechselt.
Der Wahl-O-Mat baut demgemäß auf totalitäre Prämissen. Er hält den potenziellen Wähler an, dafür oder dagegen zu sein. Dazwischen ist nichts möglich. Grauzonen nicht vorhergesehen – dabei sind die Ansichten, die die Bürger über Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hegen, stark geprägt von Grautönen. Der Wahl-O-Mat fragt aber Extreme ab und ist damit auch ein »Bildungsangebot« extremistischer Spielart.
Der Clou dabei ist, dass er nicht dumm manipuliert, indem die Innenministerin vorgibt, zum Beispiel die AfD als Wahlempfehlung nicht auszugeben. Wenn man die Klischees, die der Wahl-O-Mat als Forderungen ausgibt, durchschaut hat, kann man durchaus die AfD als Empfehlung bekommen. Der Kniff ist ein anderer: Indem man eine Wahl in hochgradig politischen Zeiten mit einem Spielzeug ausstattet, das stark entpolitisiert und die demokratische Prämisse von der Mündigkeit des Wählers eindämmt, schafft man es vielleicht, junge Wähler zum Wählen anzuleiten – aber nicht zum Nachdenken. Und genau darum geht es seit so vielen Jahren in diesem Land: Die Politik führt einen Krieg gegen die, die nachdenken. Denn sie stören die Alternativlosigkeit.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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