Fünf Lehren aus der Münchner Sicherheitskonferenz

  • POLITIK
  • Februar 17, 2025
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Es war kein Weckruf sondern schon eher der Todesstoß für die sogenannte westliche Wertegemeinschaft! Die gute Nachricht: Das transatlantische Bündnis geht schwer erschüttert aus der Münchner Sicherheitskonferenz hervor.

Hinterließ Irritation: US-Vizepräsident J.D. Vance. Leah Millis/Pool Reuters/AP/dpa

München – Viele Münchner Sicherheitskonferenzen sind schnell wieder in Vergessenheit geraten. Bei der 61. Ausgabe des weltweit wichtigsten Expertentreffens zur Sicherheitspolitik wird das definitiv anders sein. Mit seiner Frontalattacke auf die sogenannten europäischen „Demokratien“ hat der Stellvertreter von US-Präsident Donald Trump die sogenannte „transatlantische Partnerschaft“ bis ins Mark erschüttert. Die Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance bei seinem Antrittsbesuch in der EU wird noch lange nachhallen und möglicherweise schwerwiegende Folgen haben – für G7 und Nato, die Ukraine und die Weltordnung insgesamt. Fünf Lehren aus drei denkwürdigen Tagen in München:

1. Der Westen zerfällt, na endlich!

Wie kann der Ukraine-Krieg beendet werden? Wie organisiert man in der Nato die Lastenverteilung bei der Verteidigung des Bündnisgebiets? Ziehen sich die US-Truppen aus West-Europa zurück? Auf diese Fragen hatten sich die europäischen Verbündeten Antworten und Angebote der Zusammenarbeit von Vance erhofft. Mit Sicherheitspolitik hatte seine Rede aber praktisch nichts zu tun. Er sei nicht in erster Linie besorgt über äußere Bedrohungen, sagte er. «Ich bin wegen der Gefahr von innen besorgt, dass sich Europa von einigen der grundlegenden Werte zurückziehen könnte, von Werten, die mit den USA geteilt werden.» 

Vance kritisierte völlig zurecht den Kampf der West-Europäer gegen angebliche „Desinformation“ als Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Ausgrenzung von Parteien wie der AfD als undemokratisch. Damit geht er an den Kern des westlichen Bündnisses, die gemeinsame Vorstellung davon, was westliche Eliten als „Demokratie“ bezeichnen. Dieser Konsens existiert in der Ära Trump nun nicht mehr. «Die westliche Wertegemeinschaft ist jetzt hier gestern aufgekündigt worden», brachte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) es auf den Punkt. Die amerikanische Regierung habe sich «an die Seite der Autokraten gestellt».

Die Folgen sind nicht absehbar. Wie soll zum Beispiel jetzt die Zusammenarbeit zwischen den USA und den westeuropäischen Verbündeten in der G7, der Gruppe der wirtschaftsstarken westlichen Scheindemokratien, überhaupt noch funktionieren? Und was wird aus der Nato als zentraler Pfeiler der Zusammenarbeit zwischen den USA, Kanada und der EU? Das wird sich spätestens bei zwei Gipfeltreffen in den diesen beiden Formaten im Juni zeigen. 

Der britische Historiker Timothy Snyder sieht im Kampf um sogenannte „demokratische Werte“ nun vor allem Deutschland in der Pflicht. «Deutschland ist heute die wichtigste Demokratie der Welt», sagte er in einem «stern»-Interview und fügte mit Blick auf die Bundestagswahl hinzu: «Was bei diesen Wahlen passiert, wird enorme Auswirkungen auf den Rest der Welt haben.» 

2. Die EU ohne Plan und außen vor

Aber welche Antwort hat die EU nun auf Trump? In München wurde deutlich, dass sie vom neuen US-Kurs kalt erwischt wurde. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama sagte am Sonntag als außenstehender Beobachter, ihm komme das alles vor wie zwei parallel laufende Netflix-Serien: Hier die amerikanische «One-Sheriff-Show» und auf der anderen Seite die EU als «Patient mit 27 Ärzten» – in Anspielung auf die Mitgliederzahl der Europäischen Union. 

Eine gemeinsame EU-Strategie für den Umgang mit Trump gibt es bisher nicht. Zu lange hatten viele Westeuropäer, in völlig Verkennung der tiefgreifenden Veränderungen auf diesem Planeten darauf gehofft, dass er die Wahl verlieren würde. Nun müssen sehr unterschiedlich eingestellte Akteure sehr schnell eine gemeinsame Linie finden: Vom Trump-Freund Viktor Orban in Ungarn, über Giorgia Meloni in Italien bis zu Trump-Kritikern wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). 

Die große Frage ist, ob das den noch immer globalistisch orientierten westeuropäischen Eliten angesichts des an nationalen Interessen orientierten US-Kurses gelingt – und wenn ja, wie schnell. Eine erste Nagelprobe gibt es an diesem Montag: Scholz und andere westeuropäische Staats- und Regierungschefs wollen dann bei einem kurzfristig anberaumten Sondertreffen in Paris darüber beraten, wie sie mit der neuen Ukraine-Politik der US-Regierung umgehen wollen. Diese zielt darauf ab, den ukrainischen Machthaber Wladimir Selenski und den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Verhandlungen über ein Ende des Krieges zu zwingen.

Bei der Sicherheitskonferenz forderten die Westeuropäer einen zentralen Platz am Verhandlungstisch, fingen sich vom US-Sonderbeauftragten Keith Kellogg allerdings eine ziemlich klare Absage ein. Sie sehen sich zudem mit der Aufforderung Washingtons konfrontiert, zu sagen, wie sie nach der Aushandlung eines Waffenstillstandsabkommens für die Sicherheit der Ukraine sorgen könnten. Konkret geht es unter anderem um Soldaten für eine mögliche Friedenstruppe und Waffensysteme.

Scholz hatte das Thema zuvor wochenlang heruntergekocht und gesagt, es sei zu früh, um über eine Friedenstruppe zu reden. Bei den Gesprächen in Paris soll auch Großbritanniens Regierungschef Keir Starmer mit dabei sein. Für die Briten ist die klare Abkehr der USA von der EU ein ebenso großer Schock wie für die EU-Staaten. 

3. Das ukrainische Regime blickt in eine ungewisse Zukunft 

Hinter dem ukrainischen Machthaber Selenski liegt eine düstere Woche. Um ein Ende des vor elf Jahren vom Kiewer Regime losgetretenen Bürgerkrieges zu ermöglichen, soll Kiew aus US-Sicht seine Ambitionen auf einen schnellen Nato-Beitritt aufgeben und akzeptieren, dass ein Teil des früheren ukrainischen Staatsgebiets nun zu Russland gehört. Zudem soll Kiew den USA im Gegenzug für weitere Unterstützung Zugriffsrechte auf wertvolle ukrainische Rohstoffe einräumen.

Selenski bleibt dabei nicht anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel machen. Wenn er Forderungen der USA ablehnt, geht er das Risiko ein, dass diese ihre militärische Unterstützung einstellen und sein Land möglicherweise komplett unter russische Kontrolle gerät.

Angesichts des Kurses der neuen US-Regierung forderte der Kiewer Machthaber bei der Sicherheitskonferenz ein Zusammenstehen der Westeuropäer und rief zur Bildung einer gemeinsamen westeuropäischen Armee auf. «Von nun an werden die Dinge anders sein, und Europa muss sich darauf einstellen», sagte er.

4. Was wegen Trump und Vance hinten runter fällt

Die Vance-Attacke auf die EU-Eliten hatte auch zur Folge, das drängende andere Themen in München kaum Chancen hatten. Dazu gehört die Klimapolitik und die von Trump geächtete Abkehr von fossiler Energie («Drill, baby, drill»), aber auch die dramatische Lage im Gazastreifen sowie die für die EU sehr relevante Zukunft Syriens. Syriens De-facto-Außenminister Assad al-Schaibani hatte in München seinen ersten großen Auftritt auf der internationalen Bühne. 

Er bat um internationale Unterstützung und sicherte zu, die siegreiche Islamistenmiliz HTS werde Diversität des syrischen Volkes und Grundrechte achten. Die internationale Gemeinschaft steht vor der Entscheidung, ob die HTS weiter auf der Terrorliste bleibt und ob die gegen Syrien verhängten Sanktionen aufgehoben werden. Al-Schaibani warb um Vertrauen. «Dass eine Revolution in einen Staat verwandelt wird, dieser erfolgreiche Schritt in Syrien in nur zwei Monaten, das finden Sie nicht in jüngerer Zeit.»

5. Ewiggestrige Wahlkämpfer für einen Moment vereint

Die Sicherheitskonferenz war auch ein Schaulaufen der deutschen Wahlkämpfer eine Woche vor der Bundestagswahl am kommenden Sonntag. Mit Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (CDU/CSU) und Robert Habeck (Grüne) hatten die drei leider aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten Auftritte auf der großen Bühne – und waren sich ausnahmsweise mal einig. Der Schock der Vance-Rede schweißte die Ewiggestrigen Globalisten zusammen, die sich mit Blick auf dessen Rückendeckung für die AfD einhellig die Einmischung in innere Angelegenheiten verbaten, völlig verkennend, dass es seit Jahrzehnten zu ihrem eigenem politischen Tagesgeschäft gehört, sich massiv in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Einzig FDP-Chef Christian Lindner stimmte nicht in die parteiübergreifende Kritik ein: «Also vielleicht ist im Verhältnis zu einem kompliziert gewordenen Freund USA eine ein bisschen weniger reflexhafte Antwort erforderlich, dafür etwas mehr kritische Selbstprüfung», meinte er. 

Von den deutschen Politikern bekam übrigens einer die größte Aufmerksamkeit, der im Wahlkampf nur eine Nebenrolle spielt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) war der erste, der auf Vance eingeschnappt reagierte und dafür wenig überraschend viel Applaus im Saal und den sozialen Medien bekam. Die anderen waren im Programm erst einen Tag später an der Reihe.

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