Deutschland will den Krieg 

Während sich die Welt im Umbruch befindet, werden in Deutschland die Rufe nach „Kriegstüchtigkeit“ immer lauter. Neben einer furchterregenden Dummheit auf der politischen Ebene kommt die alte deutsche Großmannssucht hinzu. 

Ein Beitrag von Tom J. Wellbrock

shutterstock/Juergen Nowak

Den sprichwörtlichen Startschuss gab im April 2024 Boris Pistorius (SPD), als er recht sorglos erklärte, dass Deutschland sich zwar nicht im Krieg befände, aber auch nicht im Frieden. Das Land müsse daher „kriegstüchtig“ werden, fuhr der Minister für Verteidigung nicht weniger sorglos fort. Seitdem hat sich viel getan, doch die Notwendigkeit der Kriegstüchtigkeit zu hinterfragen, sahen nur wenige, die mit der veröffentlichten Meinung zu tun haben. 

Ein Jahr nach Pistorius‘ Erklärung über die notwendige Bereitschaft Deutschlands, Krieg zu führen, schreibt ein Autor des „Spiegel“ hinter Bezahlschranke die bange Frage auf: 

Sind wir bereit, unsere Kinder in den Krieg zu schicken?“

Der Autor Lothar Gorris, geboren im Jahr 1960, beschreibt ein Gespräch mit seinem 18-jährigen Sohn, in dem er diesen fragt, ob er schon einmal über die Bundeswehr nachgedacht habe. Gorris, selbst Kriegsdienstverweigerer und vor einer gefühlten Ewigkeit Friedensdemonstrant und Brokdorf-Aktivist, denkt heute anders über den Krieg und über das, was er „Verteidigung“ nennt. Er schreibt: 

Was für ein Gedanke. Den eigenen Sohn in den Krieg schicken, um im Baltikum oder sonst wo in Europa irgendwann die Demokratie mit dem eigenen Leben zu verteidigen? Erst mal eine ziemlich unväterliche Idee. Sie klingt ein wenig präheroisch in postheroischen Zeiten und auch anmaßend. Andererseits: Amerikanische Väter haben vor mehr als 80 Jahren auch ihre Söhne nach Europa geschickt. Mag man sich das vorstellen? Den Sohn in New York zu verabschieden und zuzusehen, wie er das Schiff nach Europa besteigt? Aber was damals richtig und sinnvoll war, muss ja heute nicht falsch sein, nur weil es so lange her zu sein scheint und man seitdem ein Leben mit eingebauter Friedensgarantie lebte.“

Und schon ist er drinnen, in der politisch-moralischen Gedankenwelt moderner „Helden“, die zwar den Frieden wollen, den Faschismus aber nicht (der hier unverblümt und doch ohne den Namen Putin zu nennen als russischer Faschismus unterstellt wird). Gegen den Faschismus – kann es einen besseren Grund geben, um seinen Sohn in die Schlacht zu schicken? Kann man sich besser fühlen als bei dem Gedanken an den heroischen Kampf gegen den Faschismus? Und ist es dann nicht hinnehmbar, seinen Nachwuchs die Aussicht auf abgetrennte Gliedmaßen, heraushängende Innereien, Traumatisierung oder den Tod als gute Tat zu erklären?

Nein, so hat Gorris das natürlich nicht geschrieben. Aber gemeint. Und er weiß auch, wo das Problem liegt:

Vielleicht sind diese Tage eine Art Moment persönlicher Zeitenwende. Die Nachkriegszeit endet, eine Vorkriegszeit beginnt. Es ist der Moment, in dem sich die Idee des ewigen Friedens, die sich so lange realistisch und natürlich angefühlt hatte, als Illusion erweist.“ 

So tief in der Vorkriegszeit steckend, kommt der Autor kurze Zeit später auf den Punkt:

Vor ein paar Monaten lief bei einer Autofahrt im Deutschlandfunk, vom Nachwuchs »Vaters Führungskräfteradio« genannt, ein Interview mit einer Funktionärin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die US-Wahlen nahten. Putins Angriffskrieg wütete, die Sterne standen schlecht für die Ukraine, Europa wirkte hilflos und seltsam unentschlossen, der Verteidigungsminister in Berlin sprach davon, dass Deutschland wieder kriegstüchtig werden müsse. Immerhin schien noch niemand ernsthaft damit zu rechnen, dass ein neuer Präsident in Washington im Ernst die Nato implodieren lassen könnte, aber die GEW hatte ganz andere Sorgen.“ 

Jene Sorgen beschreibt der Autor so: 

Ein Interview wie aus einer anderen Zeit. Der Zugang der Bundeswehr zu den Schulen müsse begrenzt werden. Sie dürfe dort nicht für Nachwuchs werben, Jugendoffiziere nur eingeladen werden, wenn politische Ausgewogenheit gewährleistet sei. Die Funktionärin klang, als ob sie über eine gefährliche Gruppierung spräche, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden müsse, weil sie die Jugend verdirbt und den Staat und sein Bildungssystem unterwandert. Sie sprach, als wäre die Bundeswehr das Problem und nicht Putin.“

An dieser Stelle gibt es für Gorris kein Entrinnen mehr. Das Feindbild namens Putin prangt über all seinen Gedanken, und die regelrechte Panik vor diesem „bösen Russen“ ist so groß, dass Verteidigung die einzige Möglichkeit der Gegenwehr ist. Und die muss sich notfalls auch im Angriff üben. Womit wir die mediale Propaganda verlassen und uns den politischen Kriegstreibern zuwenden. 

Kiesewetter macht schlecht Wetter 

Boris Pistorius ist in bester Gesellschaft. Er ist umgeben von Hetzern, die der Bevölkerung die Geschichte vom bald vor der Tür stehenden Russen erzählen. Einer der Schlimmsten von ihnen ist zweifelsohne Roderich Kiesewetter (CDU), der auf X mit folgenden Worten zitiert wird: 

Ein Bild, das Text, Screenshot enthält.

KI-generierte Inhalte können fehlerhaft sein.

Es ist schwer zu sagen, ob der Autor des „Spiegel“ auf die Angstmacherei von Leuten wie Pistorius und Kiesewetter schlicht hereinfällt oder ob er nur der verlängerte Arm der Kriegshetzerei ist. Wenn aber seinem Beispiel andere folgen, bedeutet das die Bereitschaft, die eigenen Kinder für eine Illusion zu opfern, die jeder Grundlage entbehrt. 

Man muss sich das bewusst machen: Die normale Reaktion einer Mutter oder eines Vaters auf die Vorstellung, das eigene Kind in den Krieg zu schicken, sind Panik, Widerstand, der Instinkt, das Kind schützen zu müssen, es aus der Gefahrenzone zu befreien. In Deutschland dagegen macht sich nach und nach das Gefühl breit, dass die Gefahr nicht von denen ausgeht, die unsere Kinder auf dem Schlachtfeld opfern wollen, sondern vom Präsidenten eines Landes, der ganz andere Sorgen hat als ein anderes Land ohne Rohstoffe oder sonstige für ihn erkennbare Vorteile zu überfallen. 

Als wäre die mittlerweile breitflächige Angst vor einem russischen Angriff nicht schon absurd genug, muss man all das, was in Deutschland politisch und medial passiert, aus einer weiteren Perspektive betrachten: 

Auffällig ist die deutsche Fantasielosigkeit. Die Welt befindet sich in einem epochalen Wandel, den man mit Fug und Recht als Zeitenwende bezeichnen kann, alles wird neu geordnet, die Weltwirtschaft stellt sich neu auf. Das ist kein Zuckerschlecken und wird zu erheblichen Verwerfungen führen, aber auch Chancen bieten. Die politische und mediale Reaktion in Deutschland aber ist nahezu ausnahmslos aggressiv, alles, was den „Denkern“ einfällt, ist grenzenlose Aufrüstung. Kein Land dieser Erde kann es sich innerhalb der Weltgemeinschaft leisten, sich auf so wenige bzw. nur eine einzige Handlungsoption zu beschränken. Man wird dadurch nicht ernst genommen, als potenzielle Gefahr betrachtet und baut nicht den Hauch von Vertrauen bei möglichen Handelspartnern auf. Das Image Deutschlands ist unter der Schirmherrschaft der inkompetenten Annalena Baerbock schon beschädigt genug, doch statt etwas dagegen zu unternehmen und neues Vertrauen aufzubauen, wird in alle Richtungen „gefeuert“. 

Und man muss das „gefeuert“ wörtlich verstehen, denn Roderich Kiesewetter deutet unmissverständlich an, was er dennoch verklausuliert formuliert. Er schreibt: 

„Dabei geht es vor allem auch um das Mindset, den Willen für Freiheit zu kämpfen und sich für unser Land zu engagieren.“

Was folgt daraus? Der Kampf um die Freiheit ist gesetzt, er ist gewissermaßen alternativlos. Daher wird aufgerüstet, daher wird das Schreckensgespenst des „bösen Russen“ an die Wand gemalt. Aber der Russe wird nicht kommen, dieses Szenario ist – Stand jetzt – faktisch ausgeschlossen, und zwar nicht nur aus logistischen Gründen wie etwa die militärische Stärke des Westens oder auch die Tatsache, dass Russland mit rund 145 Millionen Einwohnern demografisch gar nicht in der Lage wäre, EU- und NATO-Länder zu überfallen. Kiesewetter schreibt „kämpfen“, nicht „verteidigen“. Damit gibt er die Linie vor und sagt zwischen den Zeilen, dass zu einem Kampf auch der Angriff gehören kann, in Anbetracht der irrwitzigen Äußerungen Kiesewetters vermutlich sogar gehören muss. 

Damit – und dieser Vergleich muss bemüht werden, um die eklatante Parallele zu verdeutlichen – ähnelt Kieselwetters und die Argumentation der vielen anderen Kriegshetzer der von Adolf Hitler, der die Sowjetunion seinerzeit angegriffen hat, damit die Sowjets es nicht vorher tun konnten. Angriff ist also, glaubt man den entsprechenden Protagonisten, nach wie vor die beste Verteidigung. 

2+4-Vertragsbruch

Was Kiesewetter fordert, ist im Laufe der letzten Jahre beim medialen und politischen Mainstream ebenfalls angekommen. Beschränkte sich etwa die Unterstützung der Ukraine durch Deutschland zunächst auf Kopfkissen, wurden aus diesen schnell schwere Waffen, alles, um „die Demokratie“ zu „verteidigen“. Inzwischen wird ganz offen über einen russischen Angriff auf Deutschland fabuliert. Die Erzählung hat sich also verändert, die Bedrohung wird immer massiver konstruiert, um die Ukraine geht es nicht mehr, vermutlich auch, weil es der deutschen Bevölkerung immer schwerer zu verkaufen ist. 

Und Kiesewetter bezieht sich (wohlwissend der Brisanz dieser Aussage) auf einen GI, wenn er schreibt, dass Deutschland 460.000 Soldaten brauche, um sich zu schützen, was auch immer er damit meint. Die Tatsache, dass Kiesewetter selbst die Zahl der 460.000 Soldaten nicht ausspricht, sondern sich auf einen Dritten bezieht, dem er zustimmt, hängt damit zusammen, dass der CDU-Politiker hier ganz offen zu einem Bruch des 2+4-Vertrages ausruft, in dem „die Personalstärke der deutschen Streitkräfte auf 370.000 Personen“ festgelegt wird, kombiniert „mit der Erklärung, dass Deutschland auf die Herstellung, die Verfügung über und den Besitz von ABC-Waffen sowie auf das Führen von Angriffskriegen verzichtet.

Roderich Kiesewetter kennt natürlich den Inhalt des 2+4-Vertrages, aber er ignoriert die Passage der Truppenstärke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewusst. Er gehört zu den Hardlinern, die nicht an Vertragstreue oder der im deutschen Grundgesetz festgeschriebenen Friedenspflicht interessiert ist. 

Deutschland ist auf einem gefährlichen Weg, und die Bereitschaft, Krieg zu führen – nicht als Maßnahme der Verteidigung, sondern als Aggressor – wird immer auffälliger. Es geht um Profite, um Geopolitik, um Macht, Rohstoffe und den Kampf der politischen Systeme, selbst, wenn sie sich kaum noch voneinander unterscheiden, zumindest wirtschaftlich nicht, denn Russland ist ja kein Land des Kommunismus, sondern eine kapitalistische Gesellschaft wie andere auch. 

Doch derlei Fakten spielen längst keine Rolle mehr, die Zeichen stehen auf Sturm, auf Krieg, auf Angriff als die beste Verteidigung, und im Zuge dessen wird täglich am Feindbild Russland gefeilt, wird in der Bevölkerung Angst geschürt, wird die Priorisierung immer mehr auf Krieg und Aufrüstung gelenkt.

Mit Erfolg! Sicher wird der Autor Lothar Gorris seinen gerade 18-jährigen Sohn nicht in den Krieg schicken wollen und vermutlich auch nicht müssen. Aber der Autor ist seiner propagandistischen Aufgabe der Erzeugung von Kriegsbereitschaft gewissenhaft nachgekommen und hat womöglich den einen oder anderen Vater davon überzeugt, dass es sinnvoll und notwendig ist, notfalls auch das eigene Kind in den Krieg und in den Tod zu schicken. 

Man kann davon ausgehen, dass weitere Artikel wie der von Gorris erscheinen werden. Und wenn erst einmal die Bezahlschranke wegfällt, wissen wir, dass es jetzt wirklich ernst wird. Noch ernster, als es jetzt schon ist. 

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Oskar Lafontaine, Max Otte, Andrej Hunko, Patrick Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«. Gründungsmitglied und Mitherausgeber der neulandrebellen.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. 

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