Deutschlands „kriegstüchtige Zukunft“ dank des unermüdlichen Herrn Pistorius

  • POLITIK
  • Januar 3, 2025
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Boris Pistorius will uns alle an eine angeblich permanente Kriegsgefahr gewöhnen, nicht nur in Europa, sondern weltweit. In einer Episode des TV-Straßenfegers „Berlin direkt“ hat der „Liebling“ der Deutschen unlängst sein Volk wissen lassen, dass er von ihm „dringend“ mehr Kriegsgeilheit erwartet.

Ein Beitrag von Rainer Rupp

shutterstock/Juergen Nowak

Natürlich hat er das vornehmer ausgedrückt und einen „Mentalitätswechsel“ gefordert, und zwar nicht nur von der Truppe und den Beamten im Verteidigungsministerium, die sich schon jetzt mit voller Begeisterung in den Kriegswahn stürzen sollen, sondern auch ganz allgemein, von der gesamten Gesellschaft. Denn, wie der überaus kluge Verteidigungsminister Boris Pistorius messerscharf erkannt hat, droht die Gefahr eines Krieges in Europa und das russische Damoklesschwert wird bereits im kommenden Frühjahr nur noch an einem seidenen Faden über unseren deutschen Biergärten hängen. Im „besten Deutschland aller Zeiten“ ist es Schluss mit lustig.

Die Sommermärchen-Stimmung war gestern. Heute steht nüchtern-ernst für die nächsten Jahre die von Pistorius verschriebene Kriegstüchtigkeit auf der gesellschaftlichen Agenda. Das ist doch endlich mal eine frische Idee für ein Land, das sich in den letzten Jahrzehnten eher mit Profanem wie Wurst und Bier und Work-Life-Balance beschäftigt hat, statt sich mental auf den süßen Heldentod für Gott und Vaterland vorzubereiten. Aber Pistorius, der Seher der modernen Zeiten, belehrt uns eines Besseren, dass wir uns langsam wieder an Krieg gewöhnen müssen, du an den Gedanken, dass Kriege auch cool sein können, denn angesichts von Todesgefahr können sie das Beste in Mann und Frau hervorbringen. Genau das hat früher bereits hervorragend funktioniert, denn Deutschland war schon zwei Mal „kriegstüchtig“, aber vielleicht doch nicht so ganz?

Trotz des Risikos der leider nicht zu vermeidenden Nebenwirkungen von Kriegen, wie ein kleiner Völkermord hier oder niedergebrannte Länder dort, wird ein nüchtern denkender Mensch die höherrangigen Vorteile einer neu geschaffenen, mentalitätsgewechselten, kriegstüchtigen Gesellschaft jederzeit bevorzugen, denn das Resultat ist eine geeinte und entschlossene Gesellschaft, in der die inneren Widersprüche mit Zwangsmaßnahmen erfolgreich verdeckt werden. Dann kann auch der zukünftige Kriegsminister ‒ wie 1914 der Kaiser ‒ sagen: „Ich erkenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche“, und zwar Deutsche, die sich nicht länger in diesen scheußlichen demokratischen Strukturen zanken, sondern wie ein Mann zusammenstehen, gegen den Russen.

Zu der Kriegstüchtigkeit gehört auch die Militarisierung, und zwar die totale, nämlich mehr Rüstungsindustrie, mehr Waffen, mehr Soldaten und vor allem mehr Geld, das angesichts des ausbleibenden Wirtschaftswachstums und knapper Bundeskassen den Rentnern vom Mund abgespart werden soll. Genau das hat jüngst der neue NATO-Generalsekretär in aller Öffentlichkeit gefordert. Im Grunde genommen ist das ja auch nur eine Form des Lastenausgleichs für die Kriegstüchtigkeit, denn die jungen Leute müssen ihre Knochen, Gesundheit und Leben riskieren, da können die Alten auch auf einen Teil ihrer Rente verzichten, damit die Jungen besser bewaffnet in den Krieg in der Ukraine oder anderswohin geschickt werden können.

Laut Pistorius müssen wir nicht nur gegen die Russen kriegstüchtig werden. Nein, ein Gegner, selbst die stärkste Nuklearmacht der Welt, genügt ihm nicht. Da richtet sich Pistorius an der Vorkriegszeit zum Ersten Weltkrieg aus. Angesichts der vielen Länder, die sich auf der Gegenseite befanden, haben sich die Kriegsherren in Berlin stolz auf die Brust geklopft und mit Sprüchen wie „Viel Feind, viel Ehr“ schwadroniert, und damit Millionen Deutscher Soldaten in den Tod geschickt.

Sowas hat Herr Pistorius natürlich noch nicht vor. Schließlich ist Deutschland ja noch nicht kriegstüchtig. Aber seine Botschaft im ZDF zum aktuellen Konflikt in der Ukraine, dem Krieg in Gaza, der Krise in Fernost und den Spannungen mit Iran sieht er als perfekte Gelegenheiten, um die innere und äußere Politik Deutschlands weiter zu militarisieren. Der dazu nötige „Mentalitätswechsel“ soll nicht nur die Soldaten, sondern die gesamte Gesellschaft an eine permanente Kriegsgefahr gewöhnen, nicht nur in der EU, sondern weltweit.

Und als ob all das nicht schon kriegstüchtig genug wäre, steht Pistorius uneingeschränkt hinter Israel, das mit seinem kleinen „Selbstverteidigungskrieg“ einen völkermordähnlichen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen führt, und je nach Schätzung bereits zwischen 40.000 (UNO) und 186.000 (Lancet) Menschen mit Bomben, Granaten, Kugeln, Hunger, verseuchtem Wasser und allerlei Krankheiten getötet hat. Aber keine Sorge, das ist ja nur zur Sicherung des Existenzrechts Israels. Und die Vernichtung Gazas ist lediglich ein friedensstiftendes Gemeinschaftsprojekt großer Teile der westlichen „Wertegemeinschaft“, der es darum geht, das Nachbarschaftsgefühl in der Region zu verbessern und weitere Eskalationen zu verhindern.

Und das ist noch nicht alles: Die Bundeswehr hat bereits Kriegsschiffe und Soldaten in den Nahen Osten verlegt, offiziell für Evakuierungen. Nur ein Schurke glaubt das nicht? Die Fregatte Baden-Württemberg und andere Schiffe nehmen an UNIFIL-Einsätzen vor der Küste Libanons teil, während deutsche KSK-Spezialkräfte in Jordanien und Zypern stationiert sind. Alles unter dem Deckmantel der „Stabilität“, während man in Wirklichkeit nur die imperialistischen Interessen der herrschenden Geldeliten durchsetzt.

Aber der Blick des Herrn Pistorius und des großen Teils der selbsternannten deutschen Eliten geht weit über Europa hinaus. Warum sich mit Europa zufriedengeben? Wir müssen auch global denken, heißt die Devise? Und nicht nur Herr Pistorius träumt von Kriegen um Rohstoffe und Einflusssphären im Indopazifik, weil Deutschland, als Handelsnation, dort so ein zentrales Interesse an Stabilität und Sicherheit hat ‒ sogar ein größeres Interesse, als man China vor seiner eigenen Haustür zubilligt. Und nichts bringt mehr „Stabilität“ in die Region als die Entsendung auch deutscher Kriegsschiffe und Soldaten, die dort gemeinsam mit den USA und Konsorten überall Chaos verbreiten.

Zum Schluss ein großes Dankeschön an Herrn Pistorius für seine ständigen Ermahnungen, dass wir uns nicht nur auf Fußballspiele, sondern vor allem auf Kriege vorbereiten müssen. Das ist doch mal eine lehrreiche Lektion in moderner Geschichte. Schaut man sich die Prognosen für die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl an, dann hat die Mehrheit der Deutschen offenbar nichts aus der Geschichte unseres Landes gelernt und ist dank Herrn Pistorius bereit, die in die Tragödie führenden Fehler zu wiederholen ‒ diesmal nur mit besserer Technologie, was natürlich die Taschen des militärisch-industriellen Komplexes und deren Lobbyisten üppig füllt.

Rainer Rupp, Jahrgang 1945, arbeitete von 1977 bis 1989 für die Hauptverwaltung Aufklärung, die Auslandsspionage der DDR. Er war live dabei, als in den 80iger Jahren ein Atomkrieg geplant wurde. Rainer Rupp ist es zu verdanken, dass die NATO – Übung “Able Archer” 1983 nicht zum atomaren Armageddon führte. Er verhinderte es, als die Sowjetunion eine irrtümliche atomare Gegenreaktion auslöste.  Er wurde von der BRD-Justiz 1994 wegen Landesverrats zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Er arbeitete unter dem Decknamen „Topas“ und war der wichtigste Spion des Warschauer Paktes im NATO-Hauptquartier. Seit seiner Entlassung arbeitet er als Publizist. Im März 2023 organisierte er in Berlin die Friedenskonferenz «Dialog statt Waffen» mit ehemaligen Generälen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee. 

Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. 

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