Seit dem 1. Dezember ist der Reformstaatsvertrag in Kraft. Die gute Nachricht: Es gibt etwas weniger öffentlich-rechtliche Angebote in Funk, Fernsehen und Internet. Die schlechte Nachricht: Das Wörtchen »etwas« im vorherigen Satz.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Im letzten Jahr rangen die Regierungschefs der Länder um einen neuen reformierten Staatsvertrag. Verfolgte man die Kommentare der beitragsfinanzierten Meinungsmacher in den Netzwerken, die sich um ihre Zukunft fürchteten, konnte man beinahe den Eindruck gewinnen, das Land stehe kurz vor einer kulturpolitischen Katastrophe. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so hieß es, sei ein unverzichtbarer Garant für Vernunft – und stehe für Demokratie und Anstand. Der Apparat, der in den vergangenen Jahren wuchs, anschwoll und regelrecht verfettete, wollte nicht in die Lage geraten, Diät halten zu müssen. Im Laufe der letzten Jahre entstanden unzählige Sparten- und Nischenformate für Fernsehen und Internet – teils grotesk, seicht, ideologisiert und in einer intellektuellen Leichtgewichtsklasse angesiedelt, die man kaum noch kommentieren möchte.
Damit, so versprachen die Verantwortlichen, sollte nun Schluss sein. Am 25. Oktober 2024 beschlossen die Regierungschefs den Reformstaatsvertrag, der einige Veränderungen und vor allem Einsparungen bewirken sollte. Das Parlament Brandenburgs stimmte jedoch erst Mitte November 2025 zu, sodass der Vertrag erst zum 1. Dezember dieses Jahres in Kraft treten konnte. Das Problem: Gespart wird nur ein wenig, nicht radikal. Aber gerade radikale Einschnitte wären notwendig gewesen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre wären die Bürger wohl mehrheitlich bereit, die Öffentlich-Rechtlichen zu opfern. Opfer bringen ist schließlich wieder en vogue. Und irgendwo muss man anfangen – warum also nicht beim staatlich verankerten Medienbetrieb, der sich über Zwangsbeiträge finanziert?
Reformstaatsvertrag: Keine Qualitätsoffensive
Der Reformstaatsvertrag sollte nach offiziellen Aussagen eine neue Ära der Effizienz, Transparenz und Qualität einläuten. Wer genauer hinschaut, erkennt jedoch, dass diese Versprechen kaum mehr sind als gewohnte rhetorische Worthülsen. Zwar sollen einige Radiosender wegfallen oder ins Digitale gehen, Doppelungen aufgelöst werden – was man erstmal sehen muss, wenn wieder ein Royal heiratet und ARD wie ZDF dieselben Bilder mit zwei separaten Teams präsentiert – und das Sportbudget gedeckelt werden. Aber eine wirkliche Qualitätsoffensive hätte einen tiefgreifenden Umbau erfordert – den Mut, überbordende Strukturen zu hinterfragen, Doppelangebote zu streichen und die selbstgefällige Programmphilosophie zu korrigieren, brachte man freilich nicht auf. Warum auch, schließlich läuft doch alles ganz richtig, finden die ÖRR-Platzhirsche. Stattdessen wurden also lediglich kosmetische Maßnahmen ergriffen, die vor allem der Selbstbehauptung des Systems dienen. Ja, man spart – aber nicht so, dass es die Bürger merken würden. Der Rundfunkbeitrag bleibt unangetastet. Gekürzt wird nur am Rand: ein Spartenformat weniger, ein Kanal gestrichen, ab ins Digitale.
Was hingegen bleibt, sind die kostspieligen digitalen Experimente und Social-Media-Produktionen, die sich die Anstalten leisten. Der Pubertätssender Funk, der junge Menschen mit intellektuellen Unrat versorgt, den man gern als Sujet von Nachrichtenwert kaschiert; zahllose Social-Media-Ableger mit pädagogischem Anspruch und missionarischer Attitüde – all das wird nicht nur weiter finanziert, sondern die Digitalsparte ausgebaut. Deutschlands Influencer freuen sich, das sichert ihnen gute Chancen für die Zukunft. Die Verantwortlichen wissen, worin die zentrale Kritik der Bürger eigentlich besteht: im institutionellen Selbstverständnis, das sich längst vom demokratischen Auftrag entfernt hat und in der Wahrnehmung – und nicht nur dort – vieler Menschen zum Staatsfunk mutiert ist. Die Ironie liegt darin, dass man den Begriff »Staatsfunk« stets empört zurückweist, den gäbe es nur in Diktaturen, während gleichzeitig jeder Bürger zur Finanzierung verpflichtet wird. Ein gestrichenes Spartenformat ist keine Reform, sondern eine Verhöhnung jenes wachsenden Unbehagens, das viele Menschen – immer mehr Menschen! – gegenüber dem System empfinden.
Die Nähe zur Politik ist systemisch angelegt und zeigt sich in diversen Formaten, in denen Stichwortkartenhalter zu Füßen der politischen Macht sitzen. Aus dieser erniedrigten Sitzposition heraus hat sich vermutlich die kühne Idee entwickelt, man könnte die Zuschauer und Zuhörer belehren und wie dumme Schulkinder behandeln. Dazu kommt programmatische Verflachung und – gerade in dem Angebot für den Nachwuchs – eine unsägliche Anbiederung an einen total übergeschnappten Zeitgeist, den man den Jungen als Normalität unterjubelt und durchaus als familienschädigend und in Teilen aufwiegelnd bezeichnen könnte. Das öffentlich-rechtliche Sekuriat – das Gegenteil von Prekariat; statt prekär ist deren Existenz in großen Maße securus, also sicher und sorgenfrei – stellt den Reformstaatsvertrag nicht überschwänglich vor, aber mischt gekonnt in dieser Simulation eines etwaigen Reformwillens mit. Man weiß eben, worauf es ankommt in diesem Lande: So tun als ob. Das ist das tägliche Geschäftsmodell in diesem Paralleluniversum. Von Tagesschau bis Hirschhausen, von Presseclubbis Sportstudio: Der öffentlich-rechtliche Ausschnittsdienst sucht sich aus, welche Kurzsequenzen dem Publikum vorgesetzt werden sollen und welche man lieber übersieht.
Das Ende einer einst guten Idee
Was für ein weitsichtiger Gedanke an sich die Idee eines Rundfunks war, der nicht von den Geldern eines potenten Finanziers des freien Marktes abhängig ist, sondern der von der Öffentlichkeit am Laufen gehalten wird! Das sollte gewährleisten, dass wirtschaftliche Partikularinteressen nicht zum Programminhalt aufsteigen und diese damit einen Schwerpunkt verliehen bekommen, der einem Sujet gar nicht zusteht. Das waren auch die Bedenken, als das Privatfernsehen in den Achtzigerjahren in den Startlöchern steckte – würden die privaten Konzerne denn objektiv sein können? Muss man in deren Programm, besonders in deren News-Segment, nicht immer auch die eigene Interessenserwägung als Motivation in Betracht ziehen? Objektivität sei viel besser in einem System zu bewerkstelligen, in der nicht auf Quote geschielt werden muss – und das nicht einem Unternehmen oder Mäzen gehört, der nicht zulässt, dass Journalisten sagen was ist, sondern die sagen, was der Finanzier gerne möchte.
Natürlich waren die öffentlich-rechtlichen Sender schon damals nicht objektiv – vielleicht gibt es im Journalismus auch keine radikale Objektivität. Oder sogar ganz sicher: Sie existiert nicht. Aber zuweilen war man näher an ihr, als man es heute ist. Die Politik hat sich die Staatsmedien zur Beute gemacht. Diese haben sich – man kann es vereinfacht durchaus so sagen – zu Parteien-TV-Sendern transformiert; Journalisten wirken dabei als Pressesprecher.
Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk einst genau mit dem Anspruch gegründet wurde, über den politischen Kräften zu stehen und ihnen ein Gegengewicht zu bieten. Heute aber hat sich ein Klima etabliert, in dem die Nähe zu Regierungsnarrativen als Tugend gilt und kritische Distanz als Störfaktor verunglimpft wird. Redaktionen wirken oft homogener denn je, sowohl in ihrer sozialen Zusammensetzung als auch in ihrem ideologischen Grundton – Alexander Teschke berichtete das in seinem Bestseller Inside Tagesschau. Was früher zumindest durch verschiedene Strömungen und journalistische Traditionen ausgeglichen wurde, ist mittlerweile einem einheitlichen Deutungsrahmen gewichen, der kaum noch infrage gestellt wird. Das Ergebnis ist ein Journalismus, der zwar formal unabhängig ist, faktisch jedoch wie ein Resonanzraum politischer Leitlinien funktioniert.
Raus aus dem Zwangsbeitrag!
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat seine ursprüngliche Daseinsberechtigung verspielt. Warum sollte der Bürger dafür aufkommen müssen? Selbst dass man heute vom »Beitrag« spricht, zeigt deutlich an, wie sehr man darauf abzielt, die Realitäten euphemistisch zu glätten – in früherer Zeut sprach man unumwunden von den Gebühren, die die sogenannte Gebühreneinzugszentrale (GEZ) eintrieb. Aus der Gebühr ist ein Beitrag geworden – das klingt gleich viel freiwilliger. Daher stößt man sich ja unter ÖRR-Meinungsmachern daran, wenn Menschen vom »Zwangsbeitrag« sprechen. Das klingt unschön und widerspricht dem wahren Geist dessen, warum man heute so tut, als sei die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein selbstverständlicher Akt rechtschaffener und demokratiebeflissener Bürger.
Sprechen Sie sich auch dafür aus, dass der ÖRR abgeschafft wird?
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- Weiß nicht. 20 votes
Abstimmungen insgesamt: 499
5. Dezember 2025 – 10. Dezember 2025
Umfrage beendet
Eine Reform, die wirklich dort ansetzen möchte, wo es nach Meinung immer mehr Bürger den Bach runterging, hätte einen Aufschub gerechtfertigt. Aber so zeigt sich, dass der Komplex nicht mehr reformierbar ist. Das Öffentlich-Rechtliche sollte eingestellt werden. Keine Zwangsgebühren mehr! Dass die Privatmedien dann ehrlicher und angemessener berichten und informieren, muss man zwangsläufig nicht annehmen, denn natürlich können es Private nicht besser als der Staat – und der ÖRR ist der Staat! Doch wenn man als Bürger schon an der Nase herumgeführt wird, dann doch bitte von Medien, die man nicht unmittelbar subventioniert, die sich selbst über Wasser halten müssen.
Der Zwangsbeitrag ist kein Naturgesetz. Und auch kein Aspekt des Grundgesetzes. Dass sich der öffentlich-rechtliche Komplex so entwickelt hat – strukturell wie in Fragen der Finanzierung – ist ein Produkt etwaige Gesetzgebung und Rechtsprechung. Letztere unterliegt ganz eklatant den Moden des Zeitgeistes und was heute aus Gründen des gesellschaftlichen Klimas gesetzlich so interpretiert wird, kann morgen schon – weil sich das Klima gewandelt hat – anders aufgefasst werden. Das zugrundeliegende Gesetz muss sich dabei gar nicht verändern. Anders gesagt: Warum sollte es nicht möglich werden, dass eines Tages der Zwangsbeitrag als lässlich begriffen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk als überflüssig erachtet wird? Er hatte seine Chance …

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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