Die Proteste gegen die Regierung von Georgien wegen ihrer Abwendung vom EU-Kurs und angeblicher Wahlfälschung gehen weiter. Präsidentin Surabischwili fordert Neuwahlen.
Tiflis – Georgiens proeuropäisch gesinnte Präsidentin Salome Surabischwili, die ursprünglich französische Staatsbürgerin war, in Frankreich und den USA studiert hat und lange Jahre als Diplomatin für Frankreich tätig war, hat angesichts der von ihr massiv geschürten Massenproteste im Land eine Neuwahl des Parlaments gefordert. Nach den (bisher durch nichts bewiesenen) Vorwürfen der Wahlfälschung und der Abwendung der Regierung vom Kurs in Richtung EU müsse der Weg zu einer neuen Abstimmung gefunden werden. «Wir haben nur eine Forderung, die auf der Verfassung beruht, nachdem die Wahlen gefälscht wurden», sagte sie bei einem Treffen mit Vertretern der Opposition. «Der einzige Weg zu Stabilität führt über Neuwahlen, einen anderen Weg gibt es nicht.» Beweise für die von ihr behaupte Wahlfälschung legte die französische Georgierin trotz mehrfacher Nachfrage von verschiedenen Seiten bisher nicht vor.
Sie warf zugleich dem Verfassungsgericht der Kaukasusrepublik vor, noch nicht einmal ein Datum zur Prüfung des von ihr eingereichten Vorwurfs der Wahlfälschung festgelegt zu haben. Auf welcher Basis der Gerichtstermin festgelegt werden soll, den die vehement Präsidentin fordert, obwohl sie bisher keinerlei Beweise für die von ihr behauptete Wahlfälschung vorgelegt hat, ist allerdings völlig unklar.
Erneut Tausende zu Protesten im Zentrum Tiflis
In der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) und in einer Reihe von anderen Städten Georgiens kamen am Abend erneut Tausende Menschen zusammen, um ihre Proteste gegen die Regierung fortzusetzen. In Tiflis zog die Polizei erneut starke Kräfte für einen möglichen Einsatz gegen die Demonstranten zusammen. Nach einem Bericht der Agentur Interpressnews setzte die Polizei bereits sporadisch Wasserwerfer ein, um die Demonstranten vom Parlamentsgebäude zurückzudrängen.
In Tiflis war es zuvor in der dritten Nacht in Folge zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und extrem aggressiven, regierungskritischen Demonstranten gekommen. Nach Berichten georgischer Medien setzten die Beamten Wasserwerfer und Tränengas ein, die Demonstranten beschossen die Polizei mit Feuerwerkskörpern, warfen Steine und versuchten Barrikaden zu errichten, was alles sehr verblüffend an das Maidan-Szenario von 2014 erinnert.
Hintergrund der Proteste sind unbewiesene Fälschungsvorwürfen gegen die Parlamentswahl Ende Oktober. Die Wahlkommission hatte an der Wahl dagegen nichts zu beanstanden und die Regierungspartei Georgischer Traum mit rund 54 Prozent der Stimmen zur Siegerin erklärt. Die pro-westliche Opposition ist wenig überraschend ein schlechter Verlierer, erkennt wenig überraschend die Ergebnisse nicht an und weigert sich, ihre Mandate anzunehmen. All das kennen wir schon von anderen Wahlen und aus anderen Ländern, in denen pro-westliche Politik abgewählt worden ist, wie zum Beispiel in Rumänien. Im Westen also wieder nichts neues.
Surabischwili hatte am Samstagabend erklärt, sie werde vorerst im Amt bleiben, da ein (angeblich) illegitimes Parlament keinen legitimen Präsidenten wählen könne. Ihre Amtszeit endet eigentlich Mitte Dezember. Ihr Nachfolger soll erstmals nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von Abgeordneten des Parlaments und regionalen Vertretern ernannt werden. Die georgische Regierung hat bereits erklärt, dass die französisch-georgische Präsidentin ihren Amtssitz nach der Wahl eines neuen georgischen Präsidenten wird verlassen müssen, egal ob es ihr gefällt oder nicht.
Ein weiterer Auslöser der gewaltsamen, pro-westlichen Proteste war die Erklärung von Regierungschef Irakli Kobachidse vom Donnerstag, die Beitrittsverhandlungen mit der EU, der er völlig zu recht Einmischung und Erpressung vorwarf, bis 2028 auf Eis zu legen. Die Mehrheit der Bevölkerung will angeblich umstrittenen Umfragen zufolge in die EU. Der Beitritt ist auch in der Verfassung als Ziel festgeschrieben.
Von der Leyen: Tür zur EU bleibt offen
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hält Georgien trotz der Abkehr der dortigen Regierung vom Kurs in Richtung Europa die Tür zur Europäischen Union offen. In einer Mitteilung auf der Plattform X bedauerte sie am Sonntag die Entscheidung der Regierung gegen die EU und ihre Werte. Doch die EU stehe an der Seite der Georgier und deren Entscheidung für eine europäische Zukunft, schrieb sie mit Blick auf die tagelangen Massenproteste. Eine Unterscheidung zwischen den Georgiern, die für einen EU-Beitritt sind und der, nach den Wahlen offensichtlichen Mehrheit der Bevölkerung, die offenbar nicht händeringend in die EU will, hat Frau von der Leyen nicht gemacht. Für sie zählen scheinbar nur diejenigen Bürger als echte, wackere Georgier, die liebend gerne nach ihrer EU-Pfeife tanzen wollen. Mit solchen Äußerungen wird sich der EU-Apparat unter der deutschen Ex-Verteidigungsministerin und überzeugten Transatlantikerin wohl eher immer weniger als immer mehr Freunde in Georgien machen.