Vorbereitungsphase: Unterschiedliche Schlagzeilen in Ost und West

  • MEINUNG
  • Juni 19, 2024
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Viktor Orbán sagte doch immer, Ungarn spricht sich gegen den NATO-Einsatz in Ukraine aus und wird sich nicht an Hilfe beteiligen. Hat er seine Meinung geändert? Der Präsident Ungarns war in den letzten Monaten stets einer derjenigen, der in der EU bezüglich der Waffenlieferungen ganz klar meinte, nein, wir machen da nicht mit. Er wollte die NATO-Unterstützung nicht mehr erweitern. Nun lesen wir in den deutschen Medien, zum Beispiel in der Überschrift bei „Die Welt“, „Ungarn blockiert die NATO-Unterstützung für die Ukraine nicht mehr.“  Wenn man sich die Artikel genauer anschaut, so ist festzustellen, dass der Mainstream offenbar ausschliesslich „Überschriften-Journalismus“ betreibt. 

Ein Beitrag von Berlin 24/7-Redakteurin Sabiene Jahn

Screenshot Berlin 24/7 – Die größte Friedensdemonstration in Ungarn, Margareteninsel in Budapest am 1.Juni 2024

Prinzipielles zum Journalismus: Eine Überschrift soll die Kernaussage eines Beitrages transportieren. Ganz grob gesagt: Wer hat was gemacht? Das gilt vor allem für Nachrichten. Gut funktionieren Titel, die den Leser oder Hörer überraschen. Das schaffen die Mainstream immer „besser“. Im vorliegenden Fall wird gar eine irritierend anderslautende Botschaft suggeriert. Aber von vorn.

Der Präsident Ungarns war in den letzten Monaten stets einer derjenigen, der in der EU bezüglich der Waffenlieferungen meinte, nein, wir machen da nicht mit. Er wollte die NATO-Unterstützung nicht mehr erweitern. Nun lesen wir in den deutschen Medien, zum Beispiel in der Überschrift bei „Die Welt“ (https://www.welt.de/politik/ausland/article251985048/Stoltenberg-in-Budapest-Ungarn-blockiert-Nato-Unterstuetzung-fuer-Ukraine-nicht-mehr.html)  oder beim „Spiegel“ (https://www.spiegel.de/ausland/ungarn-will-neuen-nato-plan-fuer-die-ukraine-nicht-mehr-blockieren-a-8904afb0-775d-4092-bd7f-5a82cd173b9b), „Ungarn blockiert die NATO-Unterstützung für die Ukraine nicht mehr.“ 

Blockiert die Unterstützung nicht mehr? Waren Sie auch irritiert, als Sie das lasen? Wenn man sich die Artikel dann genauer anschaut, so ist festzustellen, dass der Mainstream offenbar ausschliesslich „Überschriften-Journalismus“ betreibt, wie es die Moderatorin eines Podcasts so treffend beschrieb. Was ist da genau passiert?

Das betreffende NATO-Projekt, um das es in den Beiträgen geht, und um das sein Generalsekretär Stoltenberg wirbt, ist zur Koordinierung der Waffenlieferungen an Kiew geschaffen worden. Es soll das alte Ramstein-Format ersetzen. Ungarn, so weiss man aus vielen Veröffentlichungen, Interviews und seinen Ansprachen vor internationalem und nationalen Publikum, hat sich klar dagegen ausgesprochen. Was also ist falsch an den Überschriften der deutschen Medien? Zum Vergleich lesen wir die Informationen der russischen Nachrichtenagentur TASS. Sie klingen deutlich anders, und sie passen auch in die bekannte Logik des Staatspräsidenten Viktor Orbáns.

Ein Beispiel: Am 1.Juni 2024 sagte der Premierminister unter dem Beifall von mindestens 100.000 Menschen, die sich auf der Margareteninsel versammelt hatten – einige meiner Freunde waren selbst vor Ort und hatten mir davon berichtet, -,  „…eilt Europa in einem Zug ohne Bremsen und einem verrückten Ingenieur in Richtung Krieg, bis zu seinem Untergang“, und dies muss gestoppt werden.“ (…) “Wir werden versuchen, diesen Zug während der Wahlen zum Europäischen Parlament anzuhalten. Wir müssen die Notbremse betätigen, damit zumindest diejenigen, die dies wünschen, aus diesem Zug aussteigen und sich vom Krieg fernhalten können“. Es war eine Anti-Kriegsrede, die von mehreren ungarischen Fernsehsendern im Fernsehen übertragen wurde. Sie dauerte etwa 30 Minuten. 

Screenshot Berlin 24/7 – Die größte Friedensdemonstration in Ungarn, Margareteninsel in Budapest am 1.Juni 2024

Wie informierten andere Medien, ausserhalb Deutschlands, über die Ereignisse? Bei der russischen Nachrichtenagentur TASS ist zum Beispiel zu lesen, „Heute machen Äusserungen des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán Schlagzeilen. Allerdings unterschieden sich diese Schlagzeilen in Ost und West.“ Das erklärt sich wie folgt:

Die russische Nachrichtenagentur berichtet in mindestens drei Kurzmeldungen über die Äusserungen des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán gegenüber den NATO-Partnern. Die Überschrift der Tass lautet: „Orbán: Die NATO hat Ungarn Garantien gegeben, dass es an der Mission in der Ukraine nicht teilnehmen kann. Orbán erklärte, dass Ungarn sich gegen den NATO-Einsatz in der Ukraine ausspricht und Ungarn wird sich nicht an der NATO-Hilfe für Kiew beteiligen.“ Erkennen Sie den Unterschied? Mehr hat Viktor Orbán nicht gesagt.

Seit Wochen macht der Präsident Ungarns immer wieder genau diese Aussagen. Zur größten Demonstrationen in Ungarn forderten die Menschen eindrucksvoll Frieden, Waffenstillstand und warben für diplomatische Verhandlungen. Orbán äusserte ähnliche oder gleichlautende Aussagen mehrfach, auch vor etwa neun Monaten beim amerikanischen Journalisten Tucker Carlson (https://tuckercarlson.com/the-viktor-orban-interview) oder in seiner Züricher Rede im „The Dolder Grand“ am 23. November letzten Jahres, als ihn die schweizer Wochenzeitung „Die Weltwoche“ eingeladen hatte.

Wenn nun die deutsche Zeitung „Die Welt“ in dieser Weise schreibt, weil die NATO und Herr Stoltenberg sich bereiterklärt hat, Orbáns Anti-Haltung zum Krieg – oder korrekter, seine Haltung zum Frieden zu ignorieren und ihn aussen vorzulassen, dann heisst das noch lange nicht, dass Ungarn der NATO zugestimmt hat. Die Überschrift, „Ungarn blockiert die NATO-Unterstützung für die Ukraine nicht mehr,“ vermittelt dem Leser eine ganz andere Information. Das Orbán von seinen Grundsätzen gar vollkommen abweichen würde. 

Das ist leider das klassische Beispiel, was seitens der Propaganda und ihrer Medien getan wird. Über eine „gut funktionierende“ Überschrift werden nicht nur Informationen erzeugt, auch Äusserungen werden komplett verdreht oder in den Mund gelegt, weil ein anderes Bild – das westliche Narrativ der NATO – medial erzeugt werden soll.

Warum ist das so wirkungsvoll? Die Überschrift ist meist bereits die Meldung für viele Leser, da eine Reihe von Menschen bei der Fülle an Informationen gerade einmal die Überschrift erfassen können, wird genau diese (anderslautende) Message ankommen. Bei jenen, die irritiert waren, als sie das lasen, funktionierte offenbar der siebte Sinn, das Unterbewusstsein. Bei manchen konnte Zweifel gesäht werden, dann wurde woanders nachgelesen. Andere, die gar nicht im Thema sind, übernahmen es schlichtweg… wer kann es ihnen verdenken…

Ist die Überschrift von „Die Welt“ oder „Spiegel“ korrekt? Nein, ist sie nicht. Und es gibt keine Entschuldigung für die Zeitungsmacher, sich vertan zu haben. Sie könnten es besser wissen. Aber hier liegt das große Problem. 

Viktor Orbán informiert – vor allem seine Bürger – genau über das, was er denkt und so schilderte er in der ungarischen Radiosendung Kossuth klar das, was er beobachtet: „Europa ist in eine Zwischenphase der Kriegsvorbereitung mit Russland eingetreten, da es zunehmend in den bewaffneten Konflikt in der Ukraine hineingezogen werde“ (https://mediaklikk.hu/miniszterelnoki-interjuk/cikk/2024/05/24/orban-viktor-miniszterelnoki-interju-jo-reggelt-magyarorszag-majus-24/). An diesem 25.Mai wird er konkreter, „…Es gibt drei Phasen – Diskussion, Vorbereitung und Zerstörung. Wir schließen die Diskussion nun ab und befinden uns in der Vorbereitungsphase. Wir sind nur wenige Zentimeter von der Zerstörung entfernt“, sagt er. 

Die Ankündigung Viktor Orbáns auf der Margareteninsel am 1.Juni in Budapest war sehr viel deutlicher, denn er sagte, „Wir stehen vor einer großen Aufgabe, wie wir sie noch nie zuvor gesehen haben. Wir müssen verhindern, dass Europa in einen Krieg eintritt, der zu seinem eigenen Untergang führen würde “ und fügte hinzu, dass „die ungarische Regierung weiß, wie das geht.“ Ich zweifle mit keinem Gedanken. Nur, weiss das auch unsere?

Zum Autor: Sabiene Jahn, Jahrgang 1967, studierte Kommunikation der Werbewirtschaft und ist freie Journalistin. 

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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