Genauso hat auch der Maidan-Umsturz angefangen – gut organisierte Proteste gegen die legitim gewählte Regierung erschüttern Georgien

  • POLITIK
  • Dezember 1, 2024
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Die Demonstrationen gegen die Regierung in Georgien weiten sich nach deren Absage an EU-Beitrittsverhandlungen aus. Zehntausende waren in der Nacht auf der Straße. Die Polizei reagiert mit Härte.

Polizei und Demonstranten lieferten sich in der Nacht schwere Auseinandersetzungen vor dem Parlamentsgebäude. Zurab Tsertsvadze/AP/dpa

Tiflis – Die Polizei in der Südkaukasusrepublik Georgien hat nach eigenen Angaben allein in der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) 107 Menschen bei Protesten in der vergangenen Nacht festgenommen. «Ungeachtet der mehrfachen Aufrufe von Vertretern des Innenministeriums, sprengte die Aktion auf dem Rustaweli-Prospekt vor dem Parlamentsgebäude Georgiens mehrfach die vom Gesetz für Versammlungen und Kundgebungen festgelegten Normen», teilte das Ministerium zur Begründung mit. Demonstranten hätten Polizisten mit Steinen beworfen, Barrikaden gebaut und Gegenstände verbrannt. Auslöser der Proteste sind die aus Sicht der pro-westlichen Opposition angeblich gefälschten Wahlen und die Ankündigung der Regierung, die Beitrittsgespräche mit der EU auf Eis zu legen.

Die Demonstrationen in der Nacht waren Augenzeugen zufolge die größten in den vergangenen Wochen. Zehntausende sollen sich in Tiflis daran beteiligt haben, auch in anderen Städten wurde demonstriert. Der Unmut auf der Straße ist groß, aber ob die Mehrheit der Bevölkerung bestimmten Umfragen zufolge wirklich für einen EU-Beitritt ist, der auch als Ziel in der Verfassung festgeschrieben wurde, erscheint zumindest fraglich. Warum sollte dann eine Mehrheit die EU-skeptische Regierungspartei wählen?

Laut Polizeibericht wurden zehn Beamte bei den Auseinandersetzungen verletzt. Einer davon sei nach wie vor im Krankenhaus. Zur Anzahl der verletzten Demonstranten machten die Behörden keine Angaben. Die Polizei setzte beim Auseinandertreiben der gewalttätigen Menge Wasserwerfer und Tränengas ein.

Ende Oktober hatte sich die Regierungspartei Georgischer Traum bei den Parlamentswahlen die Mehrheit gesichert. Sie vertritt eine stark an den Interessen Georgiens orientierte Politik. Deshalb kritisiert der Georgische Traum auch die Forderungen der EU, die auf ein entweder – oder hinauslaufen, genau wie es schon 2013 in der Ukraine der Fall gewesen ist.

Damals hatte der ukrainische Präsident Janukowitsch die harten, kompromisslosen EU-Assoziierungsbedingungen abgelehnt, weil sie eine brachiale Abkehr von Russland und eine militärische Zusammenarbeit mit der EU und der NATO vorsahen. Aus damaliger ukrainischer Regierungssicht eine völlig verständliche Entscheidung. Da die Ukraine wirtschaftlich traditionell sehr eng mit Russland verbunden war, wäre der wirtschaftliche Schaden für das Land enorm gewesen und hätte die mageren Vorteile einer Assoziation mit der EU nicht aufgewogen. Kurz nach der Ablehnung des Abkommens durch Janukowitsch begannen dann auch sofort, die sehr gut organisierten Proteste auf dem Maidan, wo sich westliche Politiker die Klinke in die Hand gaben und die schließlich in einen blutigen Putsch gegen die legitime Regierung gipfelten.

Jetzt spielt sich das völlig identische Szenario in Georgien ab. Nach schwerer Kritik – auch aus Brüssel – am Ablauf der Wahl, aber auch am angeblich zunehmend autoritären Kurs der Regierung, was man damals auch sofort Janukowitsch vorwarf, erklärte Ministerpräsident Irakli Kobachidse, verständlicherweise die EU-Beitrittsverhandlungen mit der EU bis 2028 auszusetzen. 

„Georgischer Traum“ betrachtet die Brüsseler Kritik völlig berechtigt als Einmischung und Erpressung. Noch dazu, wenn sich mehrere EU-Politiker, wie z.B. auch der deutsche SPD-Politiker Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages schon mehrfach zu den Protestlern gesellt und von der Bühne herab seine „Solidarität“ mit der gewaltbereiten „Opposition“ gegen die legitim gewählte Regierung bekundet hat.

Ein Vorgang, der völkerrechtlich zumindest sehr umstritten ist und durchaus als massive Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates gewertet werden kann. Wohin des im Endeffekt führen kann, sehen wir heute in der Ukraine. Dementsprechend protestierte die georgische Regierung auch scharf gegen die wiederholte Präsenz von EU-Politikern unter den Demonstranten.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bekundete, genauso wie damals kurz nacheinander die amtierenden deutschen Außenminister zum Jahreswechsel 2013/2014 auf dem Maidan, ebenfalls ihre „Solidarität“ mit den Demonstranten. Diese hätten den Wasserwerfern der Polizei die EU-Flagge entgegengehalten, schrieb sie auf der Plattform X. Der Kandidatenstatus sei für Georgien eine historische Chance. «Es ist an der Regierung, die Stimme ihres Landes zu hören», forderte sie.

Wie sich doch die Bilder, die Interessen, die Kräfte, die Parteien, die Personen und die Szenarien gleichen. Man kann nur hoffen, dass die georgische Regierung ihre Lehren aus der blutigen, vom kollektiven Westen massiv unterstützten Maidan-Revolte 2014 gezogen hat und es in Georgien nicht soweit kommen lässt, wie damals in Kiew, sonst könnte das in einem ebenso blutigen Bürgerkrieg enden, wie in der Ukraine.

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