Dieser Mann darf nicht Kanzler werden!

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  • November 25, 2024
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Scholz oder nicht Scholz: Das ist nicht die Frage. Was wirklich zählt ist, dass Friedrich Merz als Bundeskanzler verhindert wird.

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Kiel, Germany, June 26, 2023, Portrait of CDU Chairman Friedrich Merz and Prime Minister HH Daniel Günther at a meeting in Schleswig-Holstein; shutterstock/penofoto

Aufbruchsstimmung gibt es momentan in Deutschland nicht gerade. Zwar schien sich für einen Mikroaugenblick Entspannung auszubreiten, als Olaf Scholz sich an den Teleprompter stöpselte und eine längst verfasste Philippika auf seinen eben entlassenen Finanzminister hielt. Aber dieses Gefühl der kurzzeitigen Schadenfreude wich recht schnell der Erkenntnis, dass man zwar dem Regen entkommen ist, aber nun mitten in der Traufe steht.

Denn schlagartig wurde klar, dass Friedrich Merz mit der Hufe scharrt: Er, der vom Olymp hinabstieg in die Niederungen der Tagespolitik, der herunterkam vom schwarzen Felsen der Investmentbranche, sollte nun endlich ein neues konservatives Zeitalter ausrufen. Einige Jahre hat es gedauert, nun ist er endlich Kanzlerkandidat der Union, ein regelrechter Krisengewinner. Mit ihm soll wieder mehr Kompetenz ins Kanzleramt einziehen – ganz besonders in Wirtschaftsfragen. Den Ruf hat er sich erworben – wo er das hat, weiß man allerdings nicht. Vermutlich als Sonderangebot in der Marketingabteilung der Christdemokraten. Dort hat man ihn auch als Konservativen positioniert. Das ist überhaupt der größte Irrtum, der sich um diesen Mann rankt.

Merz bedeutet Entwurzelung

Was hat man diesen Herrn Merz doch gefeiert, als er wieder in Politik machen wollte: Endlich hätte die Union, die ja angeblich so schrecklich sozialdemokratisch geworden sei unter Angela Merkel, wieder einen konservativen Menschen in ihren Reihen. Fände sie zurück zu ihren Wurzeln. Sozialdemokratisch? Was für ein Gag! Denn die Sozis waren damals ja selbst schon lange keine mehr, so wie die Konservativen auch keine Konservativen mehr waren. Längst hatten sich alle der neoliberalen Agenda an den Hals geworfen und frönten libertären Vorstellungen.

Die alten Konservativen hatten ja, bei aller Kritik ihres Paternalismus‘ und ihrer lästigen Obrigkeitsgläubigkeit, noch einen gewissen Gemeinsinn im Leib. Leute wie Norbert Blüm beispielsweise hätten in der heutigen Union wohl keine Chance mehr. Der Arbeitnehmerflügel der Partei ist nicht erlahmt, er wurde geradezu amputiert. Zum Konservatismus der alten Schule gehörte es nun mal, dass man Rücksicht auf alle nimmt, die in einer Gesellschaft leben. Das geschah zwar manchmal autoritär bis herrisch, hin und wieder war das Gepränge auch christlich unterfüttert, was nicht jedermanns Sache war – aber die Haltung des Liberalismus, die oft nicht mehr ist als Ignoranz und »Hilf-dir-selbst«-Attitüde, entspricht dem ursprünglichen konservativen Verständnis von Gemeinsinn absolut nicht. Ja, sie ist geradewegs das Gegenteil davon.

Friedrich Merz ist das Gegenteil eines umsichtigen Konservativen. Diese Einstellung zur Gesellschaft will er mit »seinem Konservatismus« ja nicht wiederbeleben. Er ist ein glasklarer Liberaler, der Strukturreformen anstrebt und das Land umkrempeln will. Ob ihm da irgendwas heilig ist, darf man bezweifeln. Wie viele in seiner Partei, tickt er nicht klassisch konservativ, sondern gibt den Konservenliberalen.

Konservativ: Das Wort kommt bekanntlich aus dem Lateinischen, vom Verb conservare, welches sich mit »bewahren« oder »erhalten« übersetzen ließe. Wenn man sich nun aber an diesen Friedrich Merz erinnert, wie er vor den Merkel-Jahren, als er bereits mal ein politisches Pfund in der Union war, die Debatten anheizte, fällt doch auf, dass es mit dem Erhalt nicht weit her war. Abschaffen wollte er: Angemessene Arbeitslosengelder, die soziale Absicherung und zu schlechter Letzt den Sozialstaat. Ja, selbst Hartz IV wollte er nicht beibehalten: Die Reform war ihm zu soft, er wollte noch schärfere Einschnitte. Mehr Mobilität sollten die sogenannten kleinen Leute an den Tag legen. Mehr Flexibilität. Der Mann wollte entwurzeln – dabei war das Wurzelschlagen stets konservative Attitüde.

Merz bedeutet Weltkrieg

Man könnte auch sagen, dass Friedrich Merz nur auf eine Weise konservativ ist: Neukonservativ – oder auf Englisch: Ein Neocon. Auf diese Weise deckt er »konservative Werte« ab. Bereits in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts setzten die in den Vereinigten Staaten ihre Schwerpunkte und fassten nach und nach in der Grand Old Party, der Republikanischen Partei, Fuß. Sie übten die Abkehr von der Kirche, standen dazu, dass ihre Religion der schnöde Mammon ist und der freie Markt ihr Evangelium. Und selbstverständlich missionierte man: Mit Waffengewalt, falls nötig.

Dieser Tage vernimmt man, dass Merz sehr wohl weiß, woher er »geistesgeschichtlich« stammt. Wenn es auch schwerfällt, den Neokonservatismus mit einem Geist in Verbindung zu bringen – schon gar nicht mit dem heiligen. Merz lässt sich in einem Interview, dass er mit dem Stern führte, darüber aus, wie er seine Kanzlerschaft beginnen möchte: Mit einem Ultimatum für Wladimir Putin. 24 Stunden gäbe er dem Russen Zeit. Wenn er dann mit seinen Truppen nicht aus der Ukraine verschwunden sei – aus der gesamten Ukraine oder dem, was Merz als diese anerkennt –, schickt er den Ukrainern Taurus-Raketen.

Man könnte so viel dazu sagen – und müsste viel mehr noch fragen. Beispielfragen: Welche Soldaten sollen die Raketen bedienen? Der ukrainischen Administration laufen potenzielle Soldaten in Massen weg. Und unzählige sind bereits »im Felde geblieben«, wie man das in Zeiten, da Krieg romantisiert wird, gerne ausdrückt. Und was sagt eigentlich Washington dazu? Seit wann ist ein deutscher Bundeskanzler autonom? Merzens Ultimatum mag ja bei realistischer Prüfung nichts als Wichtigtuerei sein – zeigt aber recht markant, zu was dieser Mann in der Lage ist. Ihm sitzt mindestens ein kleiner Kiesewetter im Ohr – ein Verführer.

Wer Merz wählt, der entscheidet sich für den Weltkrieg. Ein deutscher Kanzler lässt den nicht einfach entbrennen, dazu gibt es zu viele andere Faktoren. Wenn die aber ausfallen oder auf Kriegskurs gestellt werden, ist dieser Bundeskanzler namens Merz mit von der Partie. Merz bedeutet Krieg – ein entfesselter Krieg – und ja, ein Weltkrieg, wenn es ganz schlimm kommt. Ist es Mut oder Dummheit, wenn man der stärksten Nuklearmacht der Welt den Taurus auf die Brust setzt? In jedem Fall ist es eine unnötige Provokation und ein Spiel mit unser aller Leben.

Merz bedeutet Ständestaat

Viele sehnen sich in Zeiten wie diesen nach einer Stärkung konservativer Werte, was auch viel mit dem Zugriff der totalitären Wokeness auf unser aller Alltag zu tun haben mag. Die Welt wird als beliebig und unverbindlich empfunden. Wo ist die Beständigkeit hin, die jede Gesellschaft braucht, will sie nicht in eine Abwärtsbewegung geraten? Und daher freuen sich auch viele, dass das Kabinett Scholz, stark mit grünen Akzenten und damit mit woker Toxizität versetzt, abgewirtschaftet hat. Merz steht diesem ideologischen Adel als Gegenmodell gegenüber, als ehrliche und einfache Haut, mit der solche Exzesse endlich an ein Ende geraten. Der Christdemokrat ist aber kein einfacher Mann.

Mittelschicht sei er, erklärt er bereits 2018, nachdem nach seiner Rückkehr Stimmen laut wurden, die Friedrich Merz als Mann der Elite bezeichneten. Wohlgemerkt: Gehobene Mittelschicht – so ehrlich war er dann doch. Damals las man auch, dass der gute Mann im Laufe seiner Karriere etwa 12 Millionen Euro auf sein Konto gebracht hatte. Natürlich war das alles nur mal wieder eine Neiddebatte. Wie dem auch sei: Ist jemand mit einem Dutzend Millionen auf der hohen Kante Mittelschicht? Oder auch nur gehobene Mittelschicht?

Dieser Friedrich Merz strotzt nur so vor Elitedünkel – und einer seiner Wadenbeißer, der nette Herr Linnemann, Parteisekretär der CDU, spricht sich dieser Tage für einen Sozialstaat aus, der denen hilft, die arbeiten. Und die, die nichts tun? Nichts tun können? Nichts finden? Tja, wer nicht arbeitet, der soll bekanntlich nichts fressen. Mit einem Schlag sind all diese Sozialstaatsdebatten wieder da, die stark in den Hintergrund rückten, nachdem die Finanzkrise eintrat. Plötzlich waren die Manager – allesamt Protagonisten der gehobenen Mittelschicht – als Sündenböcke auserkoren. Mit ihnen ging man harsch ins Gericht. Christian Wulff, später Bundespräsident, zeigte sein Herz für diese verteufelte Kaste: Pogromstimmung sei das, sagte er damals. Opportun war es aber in dieser Zeit nicht mehr, gegen die Habenichts zu hetzen – an der Verfolgungsbetreuungsfront in den Jobcentern hofierte man die Arbeitslosen deswegen aber noch lange nicht. Da wurde weiter belästigt, gegängelt und sanktioniert. Mit seinem Dünkel musste man in jenen Tagen öffentlich aber schon etwas haushalten.

Bis jetzt: Nun winkt wieder der ständestaatliche Impetus. Linnemann für die Leitungsträger oder die, die man dafür hält; Söder räumt indes das Deutschlandticket ab, kleiner Leute Mobilitätsgarantie. Und die Wirtschaftsweisen – oder Waisen? – wollen der Witwenrente den Garaus machen. All dies geschieht unter dem großen Vorsitzenden Merz: Dem Mann der gemittelten Hebeschicht – unter diesem verkannten Volkstribun, unter uns Fritzl, der einer von uns ist. Der erste Diener im Staat wolle er ja sein – ach halt, das war ein anderer Friedrich …

Merz bedeutet Schwellenland

Volkstribun sein: Wenn das schon nicht für die Deutschen gilt, so doch für die Ukrainer: Denn Friedrich Merz ist – wie so viele, die dem politischen Klüngel zugehörig sind – tatsächlich ein Mann des Volkes. Des ukrainischen Volkes. Damit ist er nun wahrlich nicht alleine, die Ampelkoalition ist an der Ukraine zerbrochen, wenn man es genau nehmen will – an der Ukraine und an den Sanktionen gegen Russland, die an der Ukraine dranhängen. Weitere Milliarden sollen nun gewissermaßen auf dem Deutschlandticket in die Ukraine reisen. Wenn es nur dieses Ticket wäre! (Und mittlerweile rudern die Christdemagogen auch wieder zurück, sie wollen das Ticket nun doch durchwinken.) Es fehlen Milliardenbeträge für Investitionen – Deutschland veraltet gnadenlos.

Tröstlich ist vielleicht nur eines: selbst wenn wir das Geld hätten, würde damit ja nichts gemacht. Denn in den Jahren, da Deutschland noch finanziell gesünder war, hat man auch nicht investiert. Seit zwei Jahrzehnten geht das nun so: Man hat das Land auf Verschleiß gefahren. Und in mittlerweile großen Teilen hat es mehr mit einem Schwellen- denn mit einem Industrieland gemein. Das Land ist ausgezehrt und benötigt dringend neue Impulse: Ein Sondervermögen für verschiedenste Bereiche täte Not – für die Bildung, die Pflege, die Schiene, den Straßenbau, das Internet. Stattdessen verbrennt man Geld in einem Krieg, der schon in dem Moment verloren war, als die erste Steuergeldmilliarde der Bundesrepublik auf einem ukrainischen Staatskonto eingegangen war.

Bei der Europameisterschaft vor einigen Monaten hat man der Welt bewiesen, dass Deutschland es kann: Und zwar mit dem eigenen Abstieg umgehen. Kaum musste der Nahverkehr in Deutschlands Großstädten einige Leute mehr befördern, weil Heere von Schlachtenbummlern einfielen, brach er zusammen. Die Behörden der Gastländer warnten vor manchem deutschen Stadtteil. Kann ja sein, dass das mit dem Papiermangel, der Neuwahlen erst im März kommenden Jahres rechtfertigen sollte, nur eine Finte aus der Willy-Brandt-Straße 1 zu Berlin war. Aber ausgeschlossen ist nicht, dass es trotzdem die Wahrheit war: Zu viel, zu oft, zu regelmäßig und zu kalkulierbar bricht in diesem Land beamtischer Berechenbarkeit alles in sich zusammen.

Ein Kanzler, der auch weiterhin bei der schwäbischen Hausfrau fensterlt, dürfte so ziemlich das Kontraproduktivste sein, was man sich im Augenblick leisten darf. Noch einer, der mit vollen Händen das Geld zurückhält: und dieses Land wird in vier Jahren – wenn er sie schafft! – nicht mehr wiederzuerkennen sein. Ist es ja jetzt schon nicht mehr. Wer sich 1999 zum Mittagsschlaf niederlegte und erst jetzt erwacht ist, der muss zwangsläufig annehmen, nicht nur aus der Zeit, sondern auch aus dem Raum gefallen zu sein. Das soll wirklich Deutschland sein? In vier Jahren, man muss es befürchten, wird der Markt es geregelt haben – und zwar nach seinen Spielregeln. Und die kennen keinen Gemeinsinn – ein Konservativer, der dem Markt huldigt, ist keiner. Wenn ein Arzt sagt, er behandelt Sie konservativ und schneidet Ihnen dann den entzündeten Unterschenkel ab, dann hat er Sie glatt angelogen.

Scholz oder Merz oder Was ist die Alternative zur tickenden Kernwaffe aus dem Sauerland?

Die Lage ist klar: Merz wird Bundeskanzler – so sehen die Prognosen aus. Und offenbar wähnt er sich selbst in Sicherheit. Aber wehe dem, der zu selbstsicher ist! Noch gibt es da Konkurrenz: Jenen Mann natürlich, den sie nicht Schwachkopf nennen durften: Robert Habeck. Der würde es machen, »wenn Ihr wollt«, sagte er in einem kurzen Video, in dem er seine Kandidatur bekanntgab. Das ist wohl sein demokratisches Grundbekenntnis: wenn Ihr wollt. Sollte eigentlich immer so sein, würde jetzt ein naiver Demokrat erwidern. Sind viele in diesem Lande aber schon lange nicht mehr – diese Naivität wurde den meisten Bürgern von der politischen Klasse längst ausgetrieben.

Und dann ist da noch der Teleprompter – er will es nochmal wissen. Auch wenn die Prognosen miserabel sind: Olaf Scholz kämpft. Das ist der Vorteil, wenn man mit dem Erinnerungsvermögen auf dem Kriegsfuß steht: Man vergisst so allerlei – eben auch die schlechten Umfragewerte. Ob die indes so bleiben, wenn die Union vorher schon erzählt, das Land in Grund und Boden sparen zu wollen, bleibt abzuwarten.

So oder so – eines sollte an dieser Stelle unbedingt gesagt sein: Friedrich Merz ist eine Gefahr für Deutschland. Und das auf vielen Ebenen. Scholz war auch schon eine – aber bereits jetzt deutet sich an, dass der Sozialdemokrat »nur« eine Taurus-Rakete mit Zündschwierigkeiten war, während man bei Merz von einer Kernwaffe sprechen könnte, die schon aktiviert ist. Wenn die Annahmen stimmen, die man machen muss, wenn man Merzens Aussagen und Wirken an sich lässt, dann kann dieser Mann nicht Bundeskanzler werden. Ihm die Richtlinienkompetenz der deutschen Regierung zu überlassen, kommt einem politischen, ökonomischen und existenziellen Suizid nahe.

Dass Scholz die bessere Alternative darstellt: Gott behüte, dass man das auch nur denkt! Nie war Tina so wahr wie heute. Tina? Ja, die kennt man doch: There is no alternative. Man kann nur so viel sagen: Wer den Krieg auf jeden Fall will, der wählt Merz. Wem die soziale Sicherheit am Arsch vorbeigeht, der wählt Merz. Wer den Elitarismus chic findet, der wählt Merz. Und wer Deutschland auf die Stufe eines Schwellenlandes herabgewürdigt wissen will, der wählt auch Merz. Dieser Mann ist die Geheimwaffe aller, die dieses Land schwach und am Boden liegend sehen wollen.

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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