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Lanz contra Wagenknecht – eine Anatomie

Wenn sich etwas Größeres im Kleinen spiegelt und bewegt, wenn Marx ergo “alle bisherige Geschichte von Klassenkämpfen” bestimmt sieht und Lenin die Parlamente als “Tribüne” dieser Klassenkämpfe, dann sind Talkshows ihr ideologischer Infight.

Ein Bericht von Diether Dehm.

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Auch um jedes einzelne Wort. Dabei sollen widerständige Persönlichkeiten öffentlich domestiziert, TV-Zuschauer gedrillt und Begriffe systemgerecht eingeschliffen werden.

Daß wir Medienkritiker uns so selten der molekularen Innenarchitektur von Talkshows zugewendet haben, zeugt von kulturellen und psychologischen Defiziten.

Um nun nicht Vorurteile mit Vorurteilen zu kontern, soll hier zunächst chronologisch in die Anatomie des Talks vom 25. September 2024 eingestiegen werden, der wohltemperiert begann. In Sekunde 32 begrüßt ein warmherziger Lanz seinen Gast:

“Herzlich willkommen, Sahra Wagenknecht, ich freue mich sehr. Guten Abend!”

Zu derlei Überschwang hatte der Talk-Großmeister auch zweieinhalb gute Gründe:

  1. Für sein pausenlos rüdes Abwürgen der damaligen Links-MdB Wagenknecht am 16. Januar 2014 hatte er sich unter dem Druck einer Online-Petition mit über 150.000 Unterzeichnern öffentlich bei ihr entschuldigen müssen.
  2. Der Name Wagenknecht bürgt für hohe TV-Quote, wie kaum einer sonst.
  3. Oder eigentlich 2 1/2. Wer jetzt, in wahlkampffreier Zeit, Wagenknecht häufig einlädt, braucht es dann, kurz vor der Bundestagswahl nicht mehr. Nämlich dann, wenn die FDP wieder hochgesendet werden muss und eben nicht BSW und AfD. (Immerhin hatte die ARD das BSW vor der Europawahl von einer Parteientalkrunde auszuschließen versucht – bis zu einem gerichtlichen Einspruch).

Warum sich allerdings Sahra Wagenknecht gerade jetzt die vielen, sich kannibalisierenden und inflationierenden Talk-Einladungen antut, ist wohl auch mit dem Kampfgerangel um die Landesregierungen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erklärlich.

Zunächst fragt Lanz, wie das BSW eigentlich mitregieren wolle. Dabei erspart er Wagenknecht die Frage, woher ihr Sinnesumbruch gekommen sein mochte, ausgerechnet bei einer, die in der Linkspartei noch empört gegen jegliches Mitregieren vor Mikros geschritten war.

Auch anderes aus der Vergangenheit erspart ihr der Talkmaster. Etwa, ob die Parteigründerin heute noch für die demokratische Enteignung bestimmter menschheitsfeindlicher Konzerne eintreten würde, wie es Wagenknecht und ihr Gatte Lafontaine in zumindest zwei Parteiprogramme von SPD und Linkspartei einst hineingeschrieben hatten. Im Verschweigen von solch “ollen Kamellen” aber kreuzen sich wohl die Schwammdrüber-Interessen des BSW mit der gesamten Talkrunde. Denn: würde Sahra Wagenknecht hier und jetzt für Vergesellschaftung eintreten, wäre bei Lanz ja ein enormes Tabu durchbrochen, nämlich daß frau/man in Deutschland für die Überführung von Konzernen in Gemeineigentum nach Art. 15 GG öffentlich werben kann und gleichzeitig enorme Prozente einfahren.

Jedenfalls begrüßte Markus Lanz seine Gegnerin Wagenknecht wesentlich schwesterlicher, als in Sekunde 2.29 den grünen Staatssekretär Kellner mit einem kargen “wunderschönen guten Abend”. Zuvor hatte er Sabine Adler vorgestellt, die frühere Pressesprecherin des Bundestages, die sich selbst 2012 das Prädikat ausstellte: “Mir fehlte das dienende Gen” – um aber danach wieder beim Deutschlandfunk zu dienen.

Adler zählt zu jenem, einst von Peter Hacks so benannten “Freiwild jagenden Rudel verwechselbarer Beaglehunde”, die aus dem medialen Nichts plötzlich in sämtlichen Talks und Interviews auftauchen. Wohl mit Hilfe des “nachrichtendienstlich medialen Komplexes” (andere nennen ihn ,,tiefen Staat“; dazu mehr: DD in UZ vom 9. August, S.13). Hierzu werden die ,,Jagdhunde“ unter verschiedensten Etiketten – mal als “Extremismusexpertin”, als “Parteienforscher”, “Terrorismusbeobachter” oder “Politikwissenschaftler” – eingeführt. Nur wohin? Und woher?

Ach, und dann war bei Lanz ja auch noch der Elektromotoren-Lobbyist Stefan Bratzel (“Autoexperte”), der aber erst spät, in Minute 56:39, die Runde mutig mit seiner Neuigkeit entzückte, daß “ein Putin nur Stärke versteht”.

Lanz, Adler, Kellner und Bratzel talkten gegen Sahra Wagenknecht solo, die dabei 103-mal unterbrochen wurde. 55-mal von Adler, 48-mal von Lanz. Wagenknecht selbst unterbrach eher vorsichtig tastend nur 12-mal – meist nachdem sie selbst unterbrochen worden war. Alle anderen wurden insgesamt achtmal unterbrochen. Viermal davon unterbrachen sie sich gegenseitig im Wettlauf, Sahra Wagenknecht doch bitte zuerst ins Wort fallen zu dürfen.

Was ist der Sinn von Talkshows im herrschenden System? Ein Thema aufzugreifen und solange zu zertalken, bis sein Kern vernebelt ist. Das erklärt auch die gebremste Fragelust von Markus Lanz gegenüber dem grünen Staatssekretär, bei dem nie nachgebohrt wurde. Etwa zu inhaltlichen Abweichungen der soeben zurückgetretenen Grünenspitze vom künftigen Kanzlerkandidaten Habeck bei Sozialstaatsfragen, Aufrüstung, Israel-Supports, Wärmepumpen, der Deindustrialisierung Deutschlands etc. Hingegen stellte Lanz Fragen von historischer Unvergänglichkeit wie:

“Wann, Herr Kellner, haben Sie vom Rücktritt von Lang und Nouripour erfahren?” (Minute 2:48).

Danach durfte der grüne Kellner, seinem Nachnamen gerechtwerdend, zwei Minuten lang und ohne jede Unterbrechung “von großer Überraschung und großer Dankbarkeit“ an die Zurückgetretenen schwabbulieren, ohne einen einzigen politischen Inhalt auch nur zu streifen. Tollkühn setzte der Talkmaster nach:

„Welche Rolle hat Robert Habeck bei dieser Entscheidung gespielt?” (4:33).

Worauf der Oberkellner großherzig preisgab:

„Die Entscheidung wurde in engsten Gremienkreisen getroffen“. (4:50)

Da aber, am Ehrgeiz gepackt, schoss Lanz die messerscharfe Frage hinterher:

„Woran sind die beiden tatsächlich am Ende gescheitert … Nouripour und Lang?“ (5:36)

Nach kurzer Nachdenkpause gab der Grüne schlussendlich doch das Staatsgeheimnis preis:

„Wir haben in Ostdeutschland Wahlniederlagen kassiert.”

Nun hatte Lanz grünes Blut geleckt:

„Sind die beiden verantwortlich oder die im Kabinett?“

Was den kellnernden Staatssekretärc erneut ins Fabulieren trieb, denn “grüne Klimapolitik” sei gar nicht für das Klima und mit dem Rücktritt sei ein “Raum der Möglichkeiten geschaffen worden für eine neue Aufstellung und für einen neuen Schwung und für eine Vorbereitung einer Bundestagswahl.” Um sofort wieder “grenzenlosen Dank und Respekt” vor der zurückgetretenen Grünenspitze zu jubilieren. (6:56)

Weil ja in großen Talkshows auch entscheidend ist, was nicht gefragt wird, wurden inhaltliche Differenzen zwischen Ricarda Lang und Robert Habeck unhinterfragt und unangetastet im Dunkel belassen. Einzig die einstige Bundestagsbedienstete und jetzige “Deutschlandfunk”erin Adler griff nun beherzt ein:

„Da wurde die Parteiführung geopfert, um den Weg für Robert Habeck als Kanzlerkandidat freizumachen“ (7:03).

Was Kellner die müde Binsenweisheit abrang:

“Robert Habeck ist als Spitzenkandidat, Vizekanzler eine der tragenden Säulen der Grünen“ (7:23). In zwei nicht enden wollenden Minuten grünen Sprachnebels pries der Staatssekretär unter anderem die “starke Frau Franziska Brandner” und dazu auch noch kurz das Vokabular der neuen Raketentüchtigkeit aufblitzen: “Das Team Habeck ist eine Startrampe!” (7:59)

Worauf sich Lanz aus dem Schützengraben wagte: „Wird es da eine Kursänderung geben? (9:59)

Aber Kellner konterte scharf: „Wir werden ein Wahlprogramm beschließen“ (10:10)

Kurz schien es, als würde Lanz aus seiner Reptilienhaut fahren:

“Muss man mit einem Riesenknall die Parteispitze rauswerfen, um den gleichen Kurs weiter zu fahren?“ (10:36)

Wofür er vom Grünen das fulminante Statement erntete.

„Das ist eine Chance“ (11:04)

Lanz ´ Sekundantin Sabine Adler interpretierte dann mit der atemberaubenden Erkenntnis, die Grünen könnten “allmählich und immer mehr mit der CDU koalieren”.

Nun aber huldigt die Adler dem Staatssekretär am Monitor, die armen Grünen hätten nun wirklich “Hetze, Häme, Hass”(12:35) auszuhalten, wozu selbst der E-Autolobbyist Bratzel am Talkrundenrand sich zu einer mitleidvollen Grimasse verleitet sieht.

Dann aber wandte sich Lanz der eigentlichen Verursacherin der geistig-moralischen Klimavergiftungen zu:

„Frau Wagenknecht… so ein Satz, wie `die Grünen richten mehr Schaden an, weil sie im Unterschied zur AfD regieren ´ …“(13:06)

Worauf der Talk, in Minute 13:43 mit Wagenknechts Antwort, zum ersten Mal politisch konkret wurde:

„… wenn man zum Beispiel den CO2-Preis erhöht, wo jeder weiß, das nützt nicht dem Klima, sondern sollte Haushaltslöcher stopfen.”

(Hier wäre noch eine weitere Grundregel für Talkshows aus der Großküche des nachrichtendienstlich medialen Komplexes einzufügen: wenn jemand substanziell widerspricht, muss schnellstmöglich in den abstrakten Nebel eines Nebenthemas umgelenkt werden.) Lanz:

„Es gibt noch so einen Satz von Ihnen: mehr als die Hälfte der Bevölkerung traut sich nicht mehr frei ihre Meinung zu sagen. Die Grünen sind die Haupttreiber (14:57) dieser autoritären Cancel Culture, die, ich zitiere wörtlich, totalitäre Züge trägt” (15:06).

Darauf zitiert Sahra Wagenknecht eine dies belegende Umfrage. Während ansonsten Talkmeister vor Meinungsumfragen geradezu niederknien, zumal der sie stimulierende “geheimdienstlich mediale Komplex” diese Umfrage-Institute oft auch steuert, überhört Lanz Wagenknechts Hinweis und referiert philologisch über das Wesen von halben Wahrheiten und ganzen Desinformation, um dann seine ganze, offenbar vorm hochrespektierten (“Ich weiß, Ihre Zeit ist knapp!” 23:55) Staatssekretär unterwürfig weggestaute Wut jetzt an die Frau zu bringen:

Dinge aus dem Kontext zu reissen – „Sie sind doch eine Meisterin darin.“ (15:40)

Das ergänzt Adler, weil Wagenknecht von der “dümmsten Regierung der Welt” gesprochen habe (16:01). “Geht es ein bisschen differenzierter!” Wagenknecht unterbricht zum ersten Mal: “Europas – habe ich gesagt”. Für die differenzierende Adler macht aber “Welt” und “Europa” keine Differenz”. Auf jeden Fall wolle Wagenknecht „gesellschaftliches Klima anheizen und vergiften.”

Dagegen Wagenknecht: „Habeck hat behauptet, wir werden von Putin finanziert… Wirklich eine Ungeheuerlichkeit.“ (16:49)

Da Habeck mit diesem Anwurf nicht mehr zu retten ist, gesteht Lanz seiner Gegnerin kulanterweise diesen Punkt zu. Um dann noch die Grüne Künast zu zitieren, Wagenknecht sei “die faulste Abgeordnete als auch Radio Moskau in einer Person” (17:07).

Dann will Lanz schnell “auf diesen Punkt mit dem Totalitarismus … Also jetzt ernsthaft? Sagt man irgendwie, diese Grünen sind sozusagen sowas wie eine totalitäre Partei?”(17:23)

Kleinlaut erwidert Wagenknecht:“ Ich habe nicht gesagt totalitäre Partei.“ (17:30). (Hingegen: die Bergpredigt meint: “Eure Rede sei: Ja! Ja! Nein! Nein!”)

Aber immerhin spitzt Wagenknecht den Talk jetzt präzise zu: Haldenwangs Verfassungsschutz wollte einen neuen Straftatbestand einführen: „die Delegitimierung des Staates“. Lanz pult sich zwischen den Zähnen. Weil “Delegitimierung des Staats” eigentlich zum Proviant jedes gescheiten Journalismus gehört. Und zu künstlerischer Satire (selbst bei Böhmermann und Welke – allerdings, bevor sie zu Staats-Comedians konvertierten). Scharfe Staatskritik also zum Straftatbestand machen zu wollen, wäre schon Totalitarismus pur. Wofür Wagenknecht sogar die Süddeutsche Zeitung zitiert (18:02).

Lanz muss sofort von dieser Brisanz wegkommen:

„Mir geht es trotzdem um eine Formulierung… Die Grünen sind die Haupttreiber dieser totalitären Entwicklung auch in der Coronazeit?” (18:29)

Das lässt sich Sahra Wagenknecht nicht zweimal sagen. Ihre Retourkutsche wird ein Glanzpunkt dieser Talkshow (18:33):

„Wer war am aggressivsten, um Ungeimpfte zu ächten, um Schulschließungen, Lockdown zu fordern? Auch die Grünen… Lauterbach, schlimm daß der Mann noch im Amt ist… Pandemie der Ungeimpften… Selbst das RKI hat gesagt, das war falsch…“ (18:46 bis19:06).

Schnell (19:07) bindet Lanz das Thema “RKI-Files” ab und holt sich Schützenhilfe von oben:

„Ich würde kurz Herrn Kellner fragen, was ihm durch den Kopf geht…“

Und dieser offenbart sofort, was da durch einen grünen Kopf so geht: “Als totalitär bezeichnen wir eigentlich Regimes wie Stalin oder Hitler.“

Woher soll ein Staatssekretär auch wissen, daß die prominenteste “Totalitarismus-Forscherin”, Hannah Arendt, von der „Banalität des Bösen“ gesprochen hatte. Also weit unterhalb von Kellners Messlatte “Hitler und Stalin”. Aber der setzt nun “Vergleichen” mit “Gleichsetzen” gleich und macht sein Gleichsetzen nur noch schiefer:

„Und dieser Vergleich ist sowas von ehrabschneidend und einfach eine Vergiftung des politischen Diskurses…“

Um dann die Nutznießer grüner Energiepolitik zu benennen:

„Die Menschen mit geringem Einkommen“ (20:01).

Diese Absurdität wird hier weder von Lanz unterbrochen, noch von Sabine Adler. Letztere wartet nämlich mit ihrer Kritik am Heizungsgesetz, bis sich der grüne Staatssekretär kurz darauf aus dem Monitor verflüchtigt hat.

Erst keilt Kellner weiter, das BSW würde von Putin finanziert (20:34). Da muss Lanz leider wieder widersprechen: “bevor es Frau Wagenknecht tut“ (20:58) … Das Ehepaar, daß diese fünf Millionen gespendet hat, hat mit dem Kreml gar nichts zu tun.“

Um dann aber umgehend auf ein anderes Thema zu lenken und “noch einmal Herrn Kellner zu fragen: geht da jetzt die Tür Richtung CDU auf?“ (21:32)

Es schließt sich ein völlig inhaltsleeres Gebrabbel über technische Koalitionsarithmetik von fast drei Minuten an, wofür Herr Lanz Herrn Kellner sehr herzlich dankt: “Ich weiß, Ihre Zeit ist knapp. Vielen Dank, daß Sie sich den Fragen gestellt haben; auf bald!” Worauf sich dieser mit obligatorischem “Sehr gerne!” verabschiedet (24:03)

Jetzt erst kritisiert Frau Adler (wohl, bevor es Frau Wagenknecht darf) das Heizungsgesetz und den soeben verabschiedeten Kellner:

„Also mit der Erwähnung der Wärmepumpe, also da habe ich wirklich Probleme, zu glauben … Dieses Heizungsgesetz hat derartigen Schaden angerichtet… genau für die Ostdeutschen, die sich endlich ein Haus bauen konnten und eben nicht mal 30.000 Euro für eine neue Heizung übrighaben, wenn die funktionierende noch im Haus ist“ (24:17 – 24:52)

Auch das lenkt Lanz sogleich um in einen knapp vierminütigen Tratsch, der an Regenbogenpresse erinnert: wer nämlich von den drei Regierungschefs in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an welchem Ort und über welche Reiseroute mit Frau Wagenknecht zusammengetroffen sei oder zusammentreffen würde.

Lanz, der im Kölner Studio Hof hält, wirft nun Wagenknecht vor, in Berlin Hof zu halten und potenzielle Koalitionspartner anreisen zu lassen und stellt weitere Fragen von ähnlich welthistorischer Bedeutung nach den Reiserouten. Worauf Wagenknecht scheu anmerkt: „Was ist denn das für ein Niveau?“(26:18)

Dann bekennt sie sich zu einer „gemeinsamen Regierung (wohl mit den Blackrock-Parteien CDU und SPD), die sich nicht fünf Jahre lang bekämpft wie die Ampel, bis die AfD die absolute Mehrheit hat.“

Glaubt sie wirklich mit dem Motto “Wir alle Demokraten gegen die Höcke“ Leute wie Lanz und Adler, Merz und Pistorius milde stimmen zu können? Wenn es denen um den NATO-Sieg über Russland geht? Warum bleibt die so erfahrene und mutig Kämpfe durchgestanden habende Sahra Wagenknecht jetzt derart unverbindlich:

„Daß die Menschen sich Veränderungen wünschen und dringend auf Veränderungen warten“ (29:45).

Der linke Kolumnist Rüdiger Rauls hat jüngst die mangelnde Orientierungskraft des BSW so beschrieben: “Geht es dem Bündnis überhaupt noch um Inhalte, noch um die Schaffung von politischem Bewusstsein, das alleine die Garantie ist für einen nachhaltigen Wandel deutscher Politik im Interesse der einfachen Menschen? Im Moment scheint die Teilhabe an der Macht der bestimmende Antrieb geworden zu sein.”

Lanz führt das Geplänkel ab 30:23 in die entscheidende Attacke über:

„Sie haben die Riesen Hürde aufgebaut, die Stationierung der Mittelstreckenraketen – nicht mit uns“ (30:30)

Worauf ihm Adler mit der Unterstellung assistiert, das BSW würde sich wünschen, der Ukrainekrieg ginge „eigentlich bis zur nächsten Bundestagswahl“ (31:07)

Wagenknecht unterbricht Adler noch nicht einmal dort, wo er seine Unkenntnis bundesdeutscher Rechtslage offenbart, nämlich zur Raketenstationierung, „daß die jeweiligen Ministerpräsidenten da überhaupt keinen Einfluss darauf haben” (30:39) Obwohl seine Redaktion Gegenteiliges wissen muss, was selbst Wikipedia über das Verfassungsorgan Bundesrat schreibt, daß dieser bei jeglicher Gesetzgebung “mitwirkt” – also auch die MPs von Thüringen, Sachsen und Brandenburg – und sogar einen eigenen Ausschuss für Außenpolitik unterhält.

Aber Lanz und Adler sind jetzt in ihrem Element. Beim Eingemachten und Einmachen von Wagenknecht, also bei der medialen Kriegsertüchtigung, sodaß die Gefahr eines dritten atomaren Weltkriegs zur rhetorischen Lappalie schrumpfen soll:

“Glauben Sie das wirklich, Frau Wagenknecht, daß in Russland irgendjemand denkt, die NATO könne Russland angreifen demnächst?“ (32:27)

In dieser Sekunde blendet die Redaktion ein Wagenknecht-Plakat ein mit der Zeile: “Diplomatie statt Kriegstreiberei“. Auf diese Zeile also war vieles vorbereitet und nun verschärft Lanz die Gangart.

Wagenknecht versucht es zunächst noch mit einem kleinen Kotau:

„Ich verurteile diesen Krieg und ich habe keine Sympathie für Putin, um das noch mal sehr, sehr deutlich zu sagen. Trotzdem sollten wir uns in Positionen, wenn es um Leben und Tod geht, immer versuchen, auch in das Gegenüber hineinzuversetzen; verstehen, warum Russland die NATO als Bedrohung empfindet. Darum geht es doch nur.” (32:57)

„Nur?“

Will die BSW-Führerin dem geneigten Talkzuschauer damit suggerieren, daß Russland diese Bedrohung “nur empfindet”? So, als ob die Bedrohlichkeit der NATO nur eine subjektive Paranoia Russlands sei?

Lanz spürt diese Unsicherheit seiner Gegnerin und betätigt sich als Militärstratege, fragt, “warum Russland dann massiv von Finnlands NATO-Grenze Truppen abzieht”?

Dies widerlegt sie ihm souverän, weil nämlich Finnland „intelligenterweise“ noch gar keine US-Truppen zugelassen habe.

Aber, weil Lügen durch Wiederholungen wirkmächtig werden, unterbricht Lanz sofort, daß “diese Erzählung von der bösen NATO, die das arme Russland bedroht, nicht so richtig glaubwürdig“ macht (33:50).

Um dann vollends abenteuerlich zu werden:

„Das ist jetzt mein anderer Punkt, daß da sozusagen Nuklear-Sprengköpfe plötzlich wieder in Deutschland stationiert werden. Das ist so erst mal nicht richtig.“ (34:17)

Hier erlaubt sich Wagenknecht, ihn zu unterbrechen, aber mit gebremstem Schaum:

„Nein, daß wir zum Zielpunkt von russischen Nuklear-Sprengköpfen werden.“

Wenn sie schon unterbricht, warum erwähnt sie nicht den Fliegerhorst Büchel und das US-Logistikzentrum Ramstein? Und die zehn anderen Orte, wo die US-Nuklear-Sprengköpfe längst stationiert sind? Wer nicht angreift, hält im Boxkampf den Gegner nicht auf Distanz. Und also schlägt Lanz zu:

„Was sie dann auf Ihren Wahlkampfveranstaltungen … immer einfach unterschlagen und weglassen, ist, daß offensichtlich Russland schon aus dem Abkommen ausgestiegen ist und 64 Mittelstreckenraketen in Kaliningrad und Belarus stationiert hat”(34:50)

Wagenknecht will unterbrechen, schüttelt mit dem Kopf.

Aber Lanz hat seinen Flow:

“Warum fällt Ihnen das nicht ein? Empfinden Sie das nicht als Bedrohung? Wenn 64 nukleare Sprengköpfe russischer Bauart auf Europa gerichtet sind? Warum unterschlagen Sie das?“

Als Wagenknecht antworten will, unterbricht er sie sofort wieder.

Danach erst zitiert Sahra Wagenknecht den Bundeswehr-Oberst Richter, der widerlegt hatte, daß der Westen eine „Fähigkeitslücke“ gegenüber russischen Raketen hätte, worauf sie jetzt von Adler unterbrochen wird.

Daß Russland den Abzug angeboten hatte und der Westen dann dennoch seine eigenen Raketen stationiert hat, kann Wagenknecht eben noch sagen, wonach sie in 40 Sekunden (bis 36:20) fünfmal von Adler und Lanz unterbrochen wird. Frau Adler wischt den Bundeswehr-Oberst ebenso beiseite, wie die Abrüstungsvorschläge aus dem Osten:

“Russland rüstet doch immer auf, ungeachtet dessen, was der Westen tut”(36:32).

Nach einem längeren Vortrag von Frau Adler (36:20 bis 38:11) sucht Wagenknecht ihren Standpunkt zu verteidigen:

„Was wollen wir: neue Abrüstung oder in ein neues Wettrüsten?“(38:16) Und wird sofort wieder unterbrochen von Adler. Dann von Lanz zur Ursache der Raketen-Spirale, als Putins Rüstungsetat noch ein Zehntel von dem der NATO betragen hatte. Lanz:

“Gott sei Dank war Putins Armee damals schlecht ausgerüstet, Gott sei Dank!“ (38:42).

Dann geht es um vertane Friedenschancen und dann kommt Adler zu dem angeblichen Grund, warum die Verhandlungen von Istanbul zwischen der Ukraine und Russland unter britischem Einfluss abgebrochen worden waren:

“Das war wegen Butscha – sagt Ihnen das was?“ (39:02)

Zu anderen Zeiten hätte wohl Sahra  Wagenknecht vielleicht einzelne CIA-“Fakten” zu Butscha angezweifelt. Aber Sahra Wagenknecht spürt man die Rücksicht auf potentielle Bündnispartner bei der bevorstehenden Friedenskundgebung am 3. Oktober oder bei den Koalitionsverhandlungen in den drei Bundesländern an. Zweifel zum Butscha-Narrativ wären für CDU und SPD in Thüringen wohl zu starker Tobak gewesen. Also belässt sie es dabei, die US-Chefdiplomatin Victoria Nuland zu zitieren, „daß es nicht Butscha war“ .

Nun schreitet Lanz energisch ein, weil wohl auch er “Butscha” als Abbruchgrund für die Istanbuler Verhandlungen nicht sonderlich weit traut. Nach Lanz` Lesart war nämlich „Istanbul gescheitert, weil Russland nicht bereit war, Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu akzeptieren“.(39:57)

Wagenknecht möchte dies widerlegen, wird aber sofort wieder unterbrochen – und zwar von Lanz und Adler. Und beide unterbrechen sich in Minute 40:12 sogar noch gegenseitig, indem sie Wagenknecht unterbrechen. Als Sahra Wagenknecht in Minute 40:45 dies und die 12 aufgestöberten CIA-Basen auf ukrainischem Boden anspricht, versteigt sich Lanz gar zu der Groteske:

„Es waren keine CIA-Basen“.

Um dann sofort umzulenken auf die hängende linke Deckungshand seiner Gegnerin, auf die “Sicherheitsgarantien für die Ukraine”.

Dazu liefern dann Lanz und Adler im Duett längere Abhandlungen, bis Frau Adler plötzlich in Minute 41:41 etwas Entlarvendes rausrutscht :

„Aber das Entscheidende ist natürlich, daß ein solches starkes Bündnis wie die NATO die eigentliche Sicherheit für die Ukraine ist.“

Diese “eigentliche Sicherheit” rollt nicht nur den ganzen Talk auf, sondern das, was Adler will, was Lanz will, was der mittlerweile abwesende Ober-Kellner will, was der geheimdienstlich-mediale Komplex will (der Talkshows dieser Größenordnung mitbestücken lässt), warum Meinungsfreiheit in Deutschland allmählich auf ukrainische Standards gedrosselt wird. Und eigentlich auch, was das Pentagon seit 1990 will, weshalb der blutige Maidanputsch 2014 gegen Janukowitsch inszeniert wurde, warum Minsk II mit relativen Autonomiegarantien für Donezk und Luhansk von faschistischen Milizen und Scharfschützen des Selensky-Regimes zerfetzt und später eine US-Basis nach der anderen in der Ukraine ausgehoben werden konnten. War es dieses Versprechen der NATO, weshalb Selensky mit solch geschwollener Brust auf der Sicherheitskonferenz in München 2022, aber noch vor (!) dem russischen Einmarsch, neue Überschall-Raketen wie “Dark Eagle” gefordert hatte, die auch atomar bestückbar sein sollten?

Wenn also seit zehn Jahren allen Eingeweihten der Sprech von den “Sicherheitsgarantien für die Ukraine” nur gleichbedeutend mit NATO-Mitgliedschaft (oder zumindest NATO-Assoziation – statt OSZE oder UN) gewesen war, wenn also Frau Adler die Katze unbeabsichtigt aus dem Sack gelassen hatte, durfte und konnte es dann in Istanbul oder anderswo je einen Frieden mit Russland geben? War unter diesen Präjudizien die russische Armee 2022 nur einfach zu spät einmarschiert, weil sich Putin zulange von Obama und Merkel hatte einwickeln lassen? Vielleicht noch berauscht von den stehenden, parteiübergreifenden Ovationen nach seiner Rede im Bundestag am 25.9. 2001?

Jedenfalls hatte Selenskyj wenige Stunden vor dem Lanz-Talk die “Sicherheitsgarantien des starken Bündnisses NATO” als “Sieg-Frieden“ ausgerufen – passend zu dem Satz der Adler.

Dann unterläuft Sahra Wagenknecht in Minute 42:12 auch ein Lapsus mit der Behauptung, die Deutschen hätten bei Friedensverhandlungen zur Ukraine “relativ wenig zu melden.”

Ergo gibt Frau Adler ihrer Kontrahentin sofort „absolut recht“(42:13).

Womit sich dann aber dem Fernsehzuschauer die Frage stellt, warum das BSW gerade ein solches Bohei in Thüringen, Brandenburg und Sachsen für Frieden mit Russland veranstaltet, wenn die Deutschen sowieso dabei nur “relativ wenig zu melden” hätten. Und warum dann deutsche Friedensdemos?

Das Getänzel im Boxring geht jetzt bereits um einen Lucky Punch. Sahra Wagenknecht ist zu oft in den Seilen beim Wort: “Kriegstreiber”. Man ahnt allmählich, warum zuvor das Wagenknecht-Plakat mit der Zeile “Diplomatie statt Kriegstreiberei” redaktionell eingeblendet worden war.

Folgerichtig keift in Minute 42:32 die Adler, das Wort “Kriegstreiberei würde alle beleidigen, die für den Schutz der Menschen in der Ukraine eintreten“.

Sahra Wagenknecht hatte so oft in letzter Zeit Putin einen “Kriegsverbrecher” genannt, wohl auch als Futter für ihre künftigen Koalitions-Partner in Erfurt, Dresden und Potsdam. Ihr Glück bei der Box-Logik dieses Talks ist, daß bislang niemand nachgefasst hat, ob man einem “Kriegsverbrecher” – also einem wie Hitler – mit Diplomatie je hat beikommen können. Und das wieder Gas von ihm gewollt wird. Oder ist Putin vielleicht garkein Kriegsverbrecher?

Aber Lanz und Adler sind, um hier weiter zu fragen, zu besessen, Sahra Wagenknecht mit dem Wort „Kriegstreiber“ zu treiben. Grade noch darf sie einen Viertelsatz aussprechen und schon – weil die Raketen in Büchel von ihr nicht eingeführt wurden – kommt ihr die Adler wieder mit einer Geraden:

“Das ist Schutz, wenn ich Raketen-Abwehrsysteme liefere!”

Darauf folgen ein erneuter Anlauf von Wagenknecht für Waffenstillstand und wieder vier Unterbrechungen durch Adler, die dann behauptet, der chinesisch-brasilianische Friedens-Plan sei ja sowieso der russische Plan (43:07).

Dann zitiert Wagenknecht einen Satz daraus, wieder von Lanz und Adler unterbrochen. Die Adler, die eben noch dem brasilianischen Präsidenten die Übernahme des russischen Plans vorgeworfen hatte, übernimmt nun den Plan von Selenskyj als ihre eigene Vorstellung, nämlich eine Volksabstimmung in der Ostukraine – aber nicht unter russischer, sondern unter ukrainischer Waffengewalt. Und fügt in Minute 45:19 hinzu, weil Wagenknecht eine Volksabstimmung mit zuvorigem Waffenstillstand wolle: “Das ist die Legitimierung von Landraub, den sie vorschlagen“.

Als Wagenknecht Landräubereien der USA zitiert, etwa der Ölfelder Syriens (45:29), keift Adler, dies sei „Whataboutism“.

Sofort greift Lanz wieder ein und kommt wieder auf „Kriegstreiberei“ zurück:

„Denen, die jetzt Waffen liefern und jemandem helfen, sich selber zu verteidigen, zu unterstellen, daß die nicht an Frieden interessiert seien, finden Sie das okay?“ (46:19)

Statt mit einem klaren “Ja!” zu antworten, weicht Sahra Wagenknecht zur Seite:

“Ich unterstelle nichts“ (46:21)

Viermal nun ergötzt sich Lanz daran, die Wagenknecht an ihr “Kriegstreiberei”-Plakat zu erinnern und sich nicht zu einem “Ja!” dazu zu bekennen, sondern herumzueiern:

„Daß wir durch die Art, wie wir und wir sage ich jetzt, also der Westen, die USA, aber auch Europa, wie wir auf diesen Krieg reagiert haben … und auf diesen Überfall, in dem wir bisher alle Verhandlungsoptionen abgeblockt haben, anders als die Länder des Südens verlängern wir den Krieg und wenn wir den Krieg verlängern ist das nicht moralisch, sondern es ist…”

Wieder wird hinter ihr das BSW-Plakat mit dem Wort “Kriegstreiberei” eingeblendet.

Lanz will die Enge auskosten, in der seine Gegnerin sich vor ihren künftigen Verhandlungspartner in Thüringen wegduckt, die sie nicht “Kriegstreiber” nennen will. Jedenfalls jetzt nicht.

Lanz: “Mit dem Wort Kriegstreiberei haben Sie dann auch kein Problem… Das ist für Sie Kriegstreiberei?”

Wagenknecht: “Wenn ich die Kriegsgefahr erhöhe …”

Lanz unterbricht sie.

Darauf Wagenknecht: “Halten Sie sich doch nicht an dem Wort fest!”

“Doch” sagt Lanz und lässt das Wahlplakat wieder einspielen.

Sie beginnt einen Satz.

Er: “Frau Wagenknecht, die Bundesregierung, das sind Kriegstreiber?“ Statt eines geraden „Jawoll!“, gerät sie ins Stocken – und wir werden Zeuge der Seltenheit einer Finsternis, wo etwas Großes etwas Kleineres verdunkelt: die Koalitionsverhandlungen hängen wie Schlingpflanzen um Sahra Wagenknechts Flow. Und Lanz stößt sie weiter in den parlamentaristischen Morast und setzt nach: „Wie finden Sie sowas?”

Sie stockt erneut. (Es war wohl ein Fehler von Freud, das Oberbewusstsein “Unterbewusstsein” genannt zu haben).

Schon fällt er ihr wieder ins Wort, sekundiert von Frau Adler (50:25).

In ihrer Not schwindelt Wagenknecht (ähnlich wie bereits in Minute 46:19, wo sie auf den Vorwurf, “Kriegstreiberei” plakatiert zu haben, blauäugig behauptet hatte: “Ich unterstelle nichts!”):

“Ich beschimpfe überhaupt niemand.”

Darauf Lanz: “Sie beschimpfen die Bundesregierung der Kriegstreiberei.”

Wagenknecht: “Ich möchte nicht, daß wir im Krieg mit Russland sind. Russland…”

Schon unterbricht Lanz wieder: “Warum fällt Ihnen das nicht bei Putin ein?”

Das ganze Gehuddel geht bis Minute 52, wo sie dann endlich, endlich wieder in die Offensive kommt, weil Merz Taurus-Raketen liefern und Kiesewetter den Krieg nach Russland tragen will.

Da gibt Adler voll den Kriegsfalken: „Von dort aus werden die Langstreckenwaffen losgelassen, geschickt auf die Ukraine.” (52:56)

Adlers Gezeter verhilft ihrer Gegnerin aber wieder nach vorne. Der Atomkriegsgefahr gibt Wagenknecht jetzt eine konkrete Vorstellung. Sodaß Lanz der Adler wieder zur Seite springen muss. Er stößt noch ein paarmal in Wagenknechts offensichtliche Blöße, ob Bundesregierung und Kanzler “Kriegstreiber” seien? Hält dann eine Eloge auf Olaf Scholz und dessen Verhandlungswillen, aber:

“Sie beschimpfen Scholz als Vasallen-Kanzler. Er will doch das gleiche wie Sie?”

Als Wagenknecht nochmal einen atomaren Weltkrieg anspricht, kichert Lanz grimmig und unterbricht sie:

“Russland wollte in Ukraine einmarschieren, das ganze Land einkassieren.” (54:00)

Bei so viel Unsinn muss schnell die Adler Lanz wieder zu Hilfe kommen. Mit einer Lüge: In der Schweiz, in Bürgenstock, hätten sehr viele Länder verhandelt, aber Russland hätte nicht kommen wollen.

Wagenknecht korrigiert, Russland sei nicht eingeladen gewesen.

Dann folgt ein mehrminütiges Gezerre, wo Wagenknecht sich in die Enge treiben lässt.

Aber sie kommt bei 56:07 wieder in die Vorhand:

“Glaubt noch jemand daran, daß die Ukraine siegt? Also das ist doch völlig illusorisch.”

Statt sich ihren Stellungsvorteil sofort zu sichern, bietet sie aber eine Hand zur Versöhnung:

“Egal, ob man sich das wünscht und ob das moralisch geboten ist und völkerrechtlich angebracht. Das mag man alles so sehen und das ist auch so.”

Wie bitte? Das Aufatmen von Lanz und Adler am Monitor ist unübersehbar. Denn Wagenknecht lenkt ein, daß ein Sieg der Ukraine “moralisch geboten ist”!

Jetzt macht sich Lanz selber zum Talkgast und erzählt ellenlang (58:00 bis 59:40) „gruselige“ Einzelerlebnisse von der ukrainischen Front. Wie aus dem Nichts erscheint dazu im Hintergrund ein Foto von Putin.

Lanz: Die Kämpfer “werden in einen Fleischwolf getrieben … von dem Mann auf dem Foto!”

Hier rächt sich erneut, daß Sahra Wagenknecht auch in diesem Talk viel zu wenig über die Vorgeschichte des russischen Einmarschs, über den fortgesetzten Bruch von Minsk I und II durch Selenskyjs Nazi-Milizen und durch die NATO eingebracht hatte. Somit beginnt die Geschichte bei Lanz, wie bei jeder reaktionären Geschichtsschreibung mit einem willkürlich festgesetzten Gewaltereignis (z.B. zur Französischen und Russischen Revolution), hier erst mit dem russischen Einmarsch 2022.

Nach einer Stunde kommt dann Lanz zu dem vorgefassten Resümee, welches ihn als Diskussionsleiter disqualifiziert, aber als Infighter aus dem Boxstall “Nachrichtendienstlich-medialer Komplex” prämiert:

“Der Mann, der den Krieg beenden kann, ist dahinten (deutet auf Putin) und ich möchte nicht, daß Leute, die Selensky und der Ukraine helfen, ich möchte nicht, daß die in der deutschen Debatte als Kriegstreiber verunglimpft werden. Ich möchte das nicht. Ich finde das nicht in Ordnung. Sie plakatieren das. Lassen Sie uns das einfach so stehen lassen!” (1:00)

Wagenknecht eher kleinlaut: “Ich sehe eine große Gefahr für unser Land…”

Und der Moderator, bevor er sich dem Elektro-Auto-Lobbyisten zuwendet:

“Sie beschimpfen die Falschen. Das ist das Problem!”

Der Disput ist rum. Lanz darf mit sich zufrieden sein, vor aller Augen die wirkmächtigste Fighterin aus dem Friedens-Lager von ihrem „Kriegstreiber”-Vorwurf weitweg getalkt, die Anti-AfD-Brandmauer nachgebessert und etwas matt glänzendes Sprach-Perlmutt (“die NATO hilft nur, zu verteidigen”) ins imperialistische Innengewölbe geklebt zu haben.

Aber war das echt das Talent von Lanz? Oder die Einwirkung von Druckwellen aus Parlamentarismus und Thüringer Koalitionsanbahnungen? Daß für Wagenknecht Putin ein Kriegsverbrecher ist? Ein Sieg der Ukraine ihr moralisch geboten, aber illusorisch ist? Daß sie jetzt weder Ampel noch sonst jemand “Kriegstreiberei” unterstellt? Daß die Nazi-Milizen unter Selenskyj und deren Rolle gegen Minsk II weggeschwiegen blieben? Daß die Bedrohung durch die NATO “von Russland eher nur empfunden wird”?

Wagenknecht hat, ohne Tabus aus der Vorgeschichte von 2022 auch nur angesprochen zu haben, etwas von Weltkriegsgefahr und für Waffenstillstand durchbekommen. Sagen wir: vielleicht 60 Prozent ihrer eigenen Zielvorgaben. Aber früher wären es wohl mal 100 Prozent gewesen.

Diether Dehm, seit 1994 für die SPD Mitglied des Bundestags, seit 2005 Mitglied des Bundestags für DIE LINKE, Texter, Komponist, Musikunternehmer.

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