MEISTKOMMENTIERT
MEISTGELESEN

Front statt Bürgergeld?

Kein Bürgergeld für geflüchtete ukrainische Männer in Deutschland – damit die stattdessen in den Krieg ziehen? Die Debatte ist unschön. Aber nötig.

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Andy Gin / shutterstock
Bild: Andy Gin / shutterstock

Die Bundesregierung stellt nochmal klar: Nach Deutschland geflüchtete ukrainische Männer dürfen weiterhin Bürgergeld beziehen. Jedenfalls die Sozialdemokraten und die Grünen möchten weiter so verfahren – die FDP wollte es den Ukrainern streichen. Vorausgegangen war dieser Debatte der Einwurf von Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen. Der Christdemokrat forderte die Bundesregierung zu einem Kurswechsel auf. Das an wehrfähige ukrainische Männer ausgebezahlte Bürgergeld würde Fahnenflucht begünstigen, erklärte er.

Wer möchte es den ukrainischen Männern verdenken? Wer den Frieden liebt, der möchte, dass Ukrainer nicht an die Front müssen – ganz selbstverständlich. Aber diese Frage sollte nicht mit Haltung, sondern Logik beantwortet werden. Folgt man ihr, muss man Stübgen beipflichten. Wehrfähigen Ukrainern Bürgergeld auszuzahlen, während man in diesem Land bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit raunt, die Ukrainer würden auch unsere Werte und unsere Freiheit in diesem Krieg verteidigen: Das geht einfach nicht zusammen.

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass?

Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, nicht zurück in diesen Krieg zu schicken: Das ist ethisch nachvollziehbar. Wer möchte das schon verantworten? Speziell dann, wenn man weiß, dass eine solche Aktion dazu führen würde, unzählige der Zurückgeschickten dem Tode zu überstellen? Sich vor dem Dienst an der Waffe zu scheuen: Das ist moralisch plausibel und gemeinhin auch gesellschaftlich akzeptiert. Es ist – das sei nochmals betont – eine akzeptierte und teils anerkannte Haltung.

Aber das ist das Problem: Es ist Haltung. Und die kann man sich leisten, wenn die Umstände es zulassen. In der Bundesrepublik ist es aber seit mehr als zwei Jahren so, dass man diesen Krieg in der Ukraine weiter austragen will – das heißt genauer: Die Ukrainer sollen ihn austragen. Berlin feuert dazu an. Die Ukrainer sollen in diesem Krieg europäische Werte verteidigen. Welche das sind, wissen wir bis heute nicht – etwa das Recht, dass man per SMS ungezählte Tonnen von Impfstoff ordern kann, der noch nicht mal benötigt wird und ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden?

Deutschland heizt an, ruft dazu auf, dass in der Ukraine weitergekämpft werden soll. Es schickt Waffen und Knowhow. Und verneint auch nicht lauthals, wenn der französische Präsident die Entsendung von Soldaten ankündigt, sondern duckt sich kleinlaut weg. Kurz und gut: Alles was in der deutschen Außen- und Innenpolitik geschieht, unterstreicht diese eine Prämisse: Dieser Krieg darf nicht enden, die Ukrainer müssen weitermachen. Und gleichzeitig enthält man diesem Alliierten jene Landsleute vor, die nicht kämpfen möchten.

Man kann sich nicht den Pelz waschen und dabei nicht nass machen. Die Bundesregierung versucht aber genau das. Sie will den Krieg und zeigt im Umgang mit den männlichen Geflüchteten aus der Ukraine eine Haltung, die eher jemanden zusteht, der pazifistisch auftritt und handelt.

Die Logik des Krieges

Wer diesen Krieg will, und zwar so, wie die Bundesregierung es immer wieder durchschimmern lässt, nämlich ohne direkte Beteiligung deutscher Truppen, der kann sich eine solche Haltung nicht leisten. Man kann es natürlich menschlich nachvollziehen und politisch auch begrüßen, wenn das Kabinett von Olaf Scholz sich gegen eine Zurückweisung männlicher Flüchtiger stellt. Aber logisch und in sich konsistent ist diese Entscheidung nicht. Sie ist sogar dreist. Ein Land zu weiteren Widerstand – und damit zum Krieg – zu drängen, ihm aber wehrtüchtige Landsleute vorzuenthalten, dürfte es in der menschlichen Geschichte so noch gar nicht gegeben haben.

Welche Rolle spielt Deutschland in diesem Krieg eigentlich? Das könnte man sich an dieser Stelle fragen. Erich Vad, Brigadegeneral a.D. und sicherheitspolitischer Berater unter Angela Merkel, geht in seinem aktuellen Buch »Abschreckend oder erschreckend« in gewisser Weise auch dieser Fragestellung nach. Den Deutschen attestiert er starken Moralismus – und sie wüssten nicht, was Krieg genau bedeutet. Ihm ist nämlich eine Dynamik immanent, die keinen moralisch integer aus dem Geschehen kommen lässt. Dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man zündelt.

Es ist nun aber auch schier unmenschlich, sich jetzt hinzustellen und den ukrainischen Männern eine gute Reise an die Front zu wünschen und sie so dem Tode anzuempfehlen. Dennoch ist der Einwurf derer, die jetzt das Bürgergeld für Wehrfähige streichen wollen, nicht unlogisch im Sinne der Kriegsdynamik, die sich mehr und mehr entspinnt – und die es immer unmöglicher macht, mit Haltung und porentief reiner Weste aufzutreten.

Genau das versucht die Bundesregierung aber immer noch. Dem Krieg das Wort reden und diejenigen, die einen solchen Krieg führen müssten, vor dem Krieg schützen: Es scheint, als sei das der letzte Versuch der Regierung Scholzens, sich ein bisschen moralischen Anstrich zu bewahren. Moralischer wäre indes aber, für den Frieden zu werben und solch existenzielle Fragen erst gar nicht weiter aufkommen zu lassen. 

Zum Autor:  Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Seit 2017 ist er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren - auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen - abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

Kommentare