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Deutsches Historisches Institut in Russland als “unerwünschte Organisation” gelistet

Insgesamt 167 Organisationen stehen in Russland auf einer schwarzen Liste, auf der sich nun auch das Deutsche Historische Institut DHI in Moskau  befindet. 2005 wurde es gegründet, um den Austausch zwischen deutschen und russischen Historikern zu fördern und auch länderübergreifende Forschungsprojekte zu unterstützen.

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Bild: shutterstock / Rokas Tenys

Die Direktorin des DHI, Sandra Dahlke, erzählte dem Deutschlandfunk Kultur (DLF), dass sie direkt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Zusammenarbeit mit staatlichen russischen Institutionen eingestellt hätten. Sie ist davon überzeugt, dass das Institut schon sehr lange unter Beobachtung stand. Diese Listung als unerwünschte Organisation ist aus ihrer Sicht daher nur eine Frage der Zeit gewesen. „Über die Gründe kann man jetzt nur spekulieren.”

Offiziell sind sie laut der Direktorin des Instituts bis heute nicht schriftlich informiert worden. Sie hätten davon durch die Meldung der TASS, also der russischen Nachrichtenagentur, erfahren.

Nach dem 24. Februar 20222 habe das Institut die Bibliothek für russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter offengehalten, um ihnen Zugang zu ermöglichen „zu einer anderen, zu einer wissenschaftlichen, fundierten Sicht auf die Geschichte“. Damit kritisiert sie den massiven ideologischen Zugriff, der jetzt an allen russischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen durchgesetzt werde.

Was mit den Publikationen aus öffentlichen Bibliotheken geschehe, erzählt Dahlke im DLF: Diese Bücher werden jetzt wahrscheinlich alle vernichtet werden, weil die Bibliotheken und auch die Forschungseinrichtungen jetzt von Büchern gesäubert werden, die russische Einrichtungen und Einzelforscher und Forscherinnen gemeinsam mit Vertretern unerwünschter Organisationen publiziert haben.“

Auswirkungen des Verbots und Perspektiven für das Deutsche Historische Institut

Sie sprach von den „mittel oder längerfristig gravierende Auswirkungen“ dieses Vorgangs für die Wissenschaft in Russland. Den russischen Hochschulen – einige von ihnen seien sehr leistungsfähig und auch international sehr konkurrenzfähig gewesen – drohe „in Zukunft eine kolossale intellektuelle Verarmung in Russland, vor allen Dingen im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften, die natürlich für ideologische Zugriffe besonders anfällig sind“, so die DHI-Direktorin. Das stehe für sie außer Frage.

Zu den Perspektiven des Moskauer Instituts erklärte sie, sie hätten parallel schon ein Max-Weber-Netzwerk-Osteuropa aufgebaut. Außerdem haben sie der Direktorin zufolge voriges Jahr ein Büro in Georgien, in Vilnius in Litauen gegründet. Den Hauptstandort wollen sie Helsinki, in Finnland eröffnen, „da Finnland ja über lange historische Zeiträume zum Russischen Reich gehörte und wir dort die entsprechende Forschungsinfrastruktur und auch die entsprechenden Archive und Bibliotheken vorfinden“.

Mit Wissenschaftlern in Russland in Kontakt zu bleiben, wird jetzt nach der Aussage von Dahlke sicher schwieriger. Damit würden sich russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im In- und Ausland strafbar machen. Vorher habe es auch informelle, sehr tragfähige, langjährige Beziehung zwischen deutschen und russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch in einer internationalen Vernetzung, sagte sie.

Das Max Weber Netzwerk Osteuropa wird laut Dahlke perspektivisch auch in und mit der Ukraine aktiv werden und auch ukrainische Forscherinnen und Forscher integrieren. Der Plan, ein deutsches historisches Institut oder eine Forschungseinrichtung der Max Weber Stiftung in Kiew zu eröffnen, werde schon lange diskutiert, sei momentan aber wegen der Sicherheitslage schwierig. „Wir müssen jetzt Übergangswege schaffen, um die ukrainische Wissenschaft in größere und umfänglichere Forschungsprojekte zu integrieren“, so Dahlke. Das sei dem Institut ein wichtiges Anliegen.

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