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Ben stirbt für Deutschland

Die Bundeswehr hat einen Comic herausgebracht: Darin wird beschrieben, wie sich ein junger Mann entschließt, Soldat zu werden, um letztlich Deutschland vor Russland zu schützen.

Ein Bericht von Roberto De Lapuente.

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Wer hätte das gedacht! General Carsten Breuer liest Comics. Jedenfalls hält er ein solches Sprechblasen-Elaborat stolz in seinen Händen und lächelt in eine Kamera. Geschrieben wurde es von Kkpt. d. Res. Tom Fiedler – für die letzten Zivilisten unter uns: Kkpt. bedeutet Korvettenkapitän. Marine also. Sein Comic »Ben dient Deutschland« sei so gelungen, findet Breuer, dass die Bundesregierung ihn zurecht unterstützt. Hier zu sehen.

Was Breuer natürlich meint: Der Steuerzahler unterstützte diesen Comic. Nicht die Bundesregierung. Die verteilt nur das zuvor eingenommene Geld. Diesmal gibt es was davon für die Bildergeschichte eines 19-Jährigen namens Ben, den der Leser dabei begleitet, wie er zum soldatischen Bewusstsein gelangt.

Ben will zum Bund

Der Comic, der von der Qualität an manche bebilderte Erzählung aus dem medizini-Heftchen erinnert, setzt direkt bei Bens Großvater an – aber ohne das Thema zu vertiefen. Der junge Leser erfährt lediglich, dass Opa Treue »auf einen Führer« schwor. Dessen »Armee führte einen mörderischen Krieg, sein Staat betrieb die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung«. Der junge Rezipient lernt also: Die Armee kämpfte, der Staat vernichtete – Überschneidungen gab es keine. Die Wehrmacht – die nicht namentlich genannt wird – war also bei Kriegsverbrechen nicht beteiligt? Es gibt sie also, liebe potenziellen Rekrutinnen und Rekruten, die saubere Armee. Ja, es gibt sie und gab sie, also keine Sorge, ihr kommt nicht in Verlegenheit, wenn ihr zum Bund geht.

Die Story setzt dann 2014 ein. Man erfährt vorher noch, dass Bens Vater Zivildienstleistender aus Ostberlin war. Der junge Protagonist weiß von Anfang an schon, dass er zur Bundeswehr will. Seine Schwester, die das Peace-Zeichen auf dem Hoodie trägt, versteht die Welt nicht mehr. Aber Ben hat »keinen Bock auf einen Schreibtischjob«. Ein Motiv, das einem immer wieder begegnet, wenn die Bundeswehr junge Leute anwirbt. Als sie kürzlich vier Influencer engagierte, die von der Arbeit der Bundeswehr berichten sollten, standen das Abenteuer und die Ferne zum öden Büroalltag auch im Mittelpunkt.

Später in einer Kneipe läuft der Fernseher. Man erfährt von der Krim, die die Russen sich unter den Nagel gerissen haben. Und wie sie in der Ostukraine Krieg führten. Ein Biertrinker am Tresen guckt verbittert. Er nimmt die Annexion offenbar persönlich. Dann ruft er, er würde ja direkt die Bundeswehr schicken. Fiedler will damit zeigen, dass die Bundeswehr nur in speziellen Fällen zum Einsatz kommen kann, zeichnet nebenher aber ein Land, das geschlossen hinter den Narrativen steht und wie die Regierung von der Vorgeschichte nichts wissen will.

In der Folge begleitet man den rothaarigen Ben bei seinem Grundwehrdienst. Über endlose Seiten marschiert er, pflegt er seine Blasen an den Füßen, verinnerlicht er die Werte der Bundeswehr, besucht seine Familie, spricht mit einem Rabbiner – was völlig konstruiert wirkt – und macht sich für offizielle Anlässe chic. Das ist so spannend und so vorhersehbar wie ein Blick in die laufende Waschmaschine. Dann der Bruch, der letzte Teil des Comics, das eigentliche Fanal – sieben Jahre danach, das Jahr 2022.

Deutschland-Narrativ durch und durch

Ben ist noch immer bei der Truppe. Stationiert in Litauen. Die Ukraine ist nicht weit weg. 350 Kilometer. Dort herrscht mittlerweile Krieg. Wie es dazu kam, erfährt der jugendliche Leser natürlich in kurzer Ticker-Meldungen – ohne Vorgeschichte, versteht sich. Der Krieg kam aus dem Dunkeln, aus den Kanälen des Bösen. Ohne Ansage, ohne Nachvollziehbarkeiten. Die Gegenseite ist damit schon entmenschlicht, denn sie wird als konturlos, als grundsätzlich schlecht in Szene gesetzt. Man erfährt jetzt, dass Ben eigentlich Pazifist ist – auch in Uniform. Abwegig ist das nun nicht, viele Militärs zeigen sich heute besonnener als Zivilisten. Man Vergleiche nur mal Harald Kujat mit Anton Hofreiter. Aber ob so eine pazifistische Grundhaltung im dauerhaften Werben um Kriegstüchtigkeit realistisch ist und durchzuhalten ist im Ernstfall, bleibt schon fraglich.

Eine Politikerin mit Stoppelbart – oder einer Halskette? Vielleicht ist es auch ein Politiker? Sie sehen schon, das Ding ist nicht besonders gut gezeichnet – besucht die Truppe. Sie nimmt sich offenbar viel Zeit für Ben. Inspiziert Panzer und läuft über das Gelände. Dann sagt sie: »Ich wollte immer, dass wir das alles nicht brauchen.« Kurze Pause: »Danke, dass Sie hier sind. Und passen Sie gut auf sich auf.« Fiedler zeichnet hier eine Harmonie und Nettigkeit, die einem das kalte Kotzen kriegen lassen. Ben salutiert daraufhin. Das ist das letzte Bild. Das Ende des Comics. Ein Ende, wie aus einem Hollywood-Streifen. Pathetisch. Voller Menschlichkeit und Güte. Der Einsatz am Rande eines Krieges, für den deutsche Politiker vieles tun, damit er noch mehr unser aller Krieg wird, scheint ein Spaziergang zu sein.

Fiedlers Comic ist durchzogen von einem Deutschlandbild, das wie aus der Feelgood-Abteilung irgendeines PR-Ministeriums wirken. Die Bahn wird in einem langen ergodynamischen Tunnel gezeichnet, fast so, als beame die Deutsche Bahn einen von Standort A nach Standort B. Deutschland ist in Fiedlers Bildern ein hochtechnologisches Land, ein funktionierender Staat. In dem haben auch Politikerinnen viel Zeit mitgebracht und sprechen ganz offenbar mit jedem Soldaten persönlich. Will man Fiedler noch unterstellen, er zeichnete bärtige Politikerinnen und skizzierte damit Deutschland als Botschafter des Regenbogens? Vielleicht – wie gesagt, es kann auch eine Kette sein, die er da malte. Oder er blieb absichtlich vage zwischen den Identitäten, als Zugeständnis an den Zeitgeist inmitten der Zeitenwende?

Falsche Sachen machen

Der Comic wirkt schrecklich bemüht, der Holzhammer schwebt dauernd über den Seiten – Fiedlers Dialoge sind wie seine Zeichnungen: Eher drittklassig. Das ganze Machwerk ist mehr Kartoffeldruck als Tuschezeichnung. Der Hauptprotagonist drängt sich dem Leser vom ersten Augenblick an als Arschloch auf. Wie er seinen besten Freund, einen eher dicklichen Nerd, gleich ein Wettrennen abringt, »Rekrut gegen Azubi. Verlierer zahlt!« schreit, macht ihn gleich zu jemanden, den man nicht näher kennenlernen will und den man sich weit weg wünscht. Nach Litauen zum Beispiel.

Natürlich lässt der Autor auch noch die pazifistische Schwester zu Wort kommen. Sie sagt, dass auch westliche Armeen »falsche Sachen« tun. Man beachte bitte: Westliche Armeen tun einfach nur falsche Sachen – die anderen begehen Verbrechen, sind Teufel oder müssen Vergleichen mit der Wehrmacht und der SS standhalten. Nicht aber die Armeen des Lichts. Ben antwortet ihr, dass er das ja wisse. Aber die Bundeswehr halte sich an Gesetze, Befehle müssten rechtmäßig sein. Man dürfe sogar den Gehorsam verweigern – außer offenbar bei mRNA-Injektionen, wer da Gehorsam verweigert, geht in den Bau. Das mit den Injektionen sagt Ben natürlich nicht. All das mag ja in Friedenszeiten gelten. Aber im Ernstfall? Krieg kann man nicht verwalten und rational umsetzen. In ihm setzen sich Dynamiken frei, die mit den Gesetzmäßigkeiten der Menschlichkeit nicht mehr einzufangen sind.

»Ben dient Deutschland« mag ja eine legitime Publikation sein. Auch die Bundeswehr möchte Nachwuchskräfte werben, muss sie auch, wenn sie ihrem Auftrag der Landesverteidigung nachgehen will. Beliebt ist sie unter jungen Leuten weiterhin eher nicht. In Zeiten wie diesen sind solche Werbemittel allerdings verwerflich. Denn man suggeriert den jungen Leuten ein geordnetes Leben, Sicherheit und Menschlichkeit am Arbeitsplatz, Wertschätzung im Umgang – während die hohe Politik daran arbeitet, einen Wahnsinn mitten in Europa zu entfesseln, wie wir ihn seit 1945 nicht mehr kennen. Wer heute mit so anbiedernden Mitteln rekrutiert, vertuscht das Himmelfahrtskommando, zu das das Engagement bei der Bundeswehr sehr schnell werden kann. Ben dient Deutschland – aber wenn nicht schnellstmöglich diplomatische Wege eingeschlagen werden, dann stirbt Ben für Deutschland. Und das mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren - auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen - abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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