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Das wollte die Regierung den Deutschen verheimlichen

Die Corona-Protokolle des RKI wurden am Dienstag ungeschwärzt geleakt. Darin finden sich brisante Details zu Drosten, Spahn, Kinderimpfungen und „Gegenwehr aus der Bevölkerung“. Gegen die Impfung von Kindern gab es fachliche Bedenken. Dennoch wurden von der Politik Impfprogramme aufgesetzt. In den Protokollen ist nachzulesen, dass "Empfehlungen durch das RKI in der Rolle einer Bundesbehörde ausgesprochen werden, und einer ministeriellen Weisung zur Ergänzung dieser Empfehlung nachgekommen werden muss, da das BMG (Bundesministerium für Gesundheit) die Fachaufsicht über das RKI hat und sich als Institut nicht auf Freiheit der Wissenschaft berufen kann." Das RKI notiert die bittere Erkenntnis in das Protokoll vom 10.09.2021: "Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI von der Politik ist insofern eingeschränkt.“

Ein Beitrag von Philipp Debionne

Screenshot Berlin 24/7 - Pressekonferenz in Berlin am 24.Juli 2024 mit der Freien Journalistin Aya Velasquez, Prof. Dr. Stefan Homburg und dem Freien Journalisten Bastian Barucker
Bild: Screenshot Berlin 24/7 - Pressekonferenz in Berlin am 24.Juli 2024 mit der Freien Journalistin Aya Velasquez, Prof. Dr. Stefan Homburg und dem Freien Journalisten Bastian Barucker

Das Rätselraten um geschwärzte Namen und Passagen in den Corona-Protokollen des Robert Koch-Instituts hat ein Ende. Die Journalistin Aya Velázquez hat am Dienstag alle Dokumente ungeschwärzt veröffentlicht. In den Daten finden sich brisante Details aus der Corona-Zeit - und sie verdeutlichen, dass man beim RKI deutlich differenzierter auf die Corona-Politik blickte, als die politisch Verantwortlichen und die meisten Medien der Bevölkerung Glauben machten.

Konkret geht es in den Protokollen aus der Corona-Zeit, die jeweils den Beratungsstand innerhalb des RKI detailliert wiedergeben, etwa um Christian Drosten, der eine eigene Studie nicht veröffentlicht habe, weil sie eine Empfehlung enthielt, die „dem Regierungshandeln widerspricht“ oder auch um Jens Spahn, der die Impfung von Kindern ohne Rücksicht auf die Stiko habe durchsetzen wollen („BM Spahn plant trotzdem ein Impfprogramm“).

Screenshot Berlin 24/7 - X
Bild: Screenshot Berlin 24/7 - X
„Phase-III-Studien auslassen und direkt in eine breite Anwendung gehen“

Laut RKI-Protokollen sollen zudem der Impfstoffhersteller Pfizer mit der EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) darüber nachgedacht haben, ob sie bei der Corona-Impfung „ggf. die Phase-III-Studien auslassen und direkt in eine breite Anwendung gehen.“ Als Phase-III-Studien bezeichnet man klinische Studien, bei denen ein Arzneimittel (hier der Impfstoff) an einem größeren Patientenkollektiv erprobt wird. Mit Phase-III-Studien soll geprüft werden, ob sich Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit auch bei vielen unterschiedlichen Patienten bestätigen lässt.

Woher stammen die Dokumente? „Ein/e Whistleblower/in, ein/e ehemalige/r Mitarbeiter/in des RKI, ist auf mich zugekommen und hat mir den Datensatz zugespielt“, sagt Velázquez. Und weiter: „Einzelheiten zur Person unterliegen selbstverständlich dem Informantenschutz, aber soviel kann ich sagen: Die Person hat es aus Gewissensgründen getan. Für die Wahrheit, für eine vollumfängliche Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen - und nicht zuletzt für die Menschen in diesem Land.“ Velázquez recherchiert und veröffentlicht bereits seit geraumer Zeit im Themenfeld von Corona-Politik und -Impfungen.

RKI hatte Daten nur geschwärzt herausgegeben

Mehrere Wochen arbeitete sich Velázquez mit ihrem Team durch die Protokolle und fand unzählige brisante Details, die bislang vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden sollten, weil das RKI die Daten nur geschwärzt herausgegeben hatte - und auch das nur, nachdem der Journalist Paul Schreyer auf Herausgabe der Daten geklagt hatte.

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Velázquez’ Fazit zu dem Datensatz lautet: „Die Corona-Politik basierte nicht auf rationalen, wissenschaftlichen Abwägungen. Zahlreiche politische Entscheidungen, wie etwa 2G, die einrichtungsbezogene und geplante allgemeine Impfpflicht oder die breitflächige Impfung von Kindern waren rein politische Entscheidungen, für die das RKI als weisungsgebundene Behörde eine vermeintlich wissenschaftliche Legitimation geliefert hat.“

Auch die Redaktion der SV Gruppe (Nordkurier und Schwäbische Zeitung) hatte bereits vor der nun erfolgten Veröffentlichung vollständigen Zugriff auf die gesamten Daten und konnte sich eine Übersicht verschaffen.

In den Dokumenten heißt es unter anderem:

„Impfen und Testen in Greiz sehr akzeptabel, im Saale-Orla-Kreis nicht, hier Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Bewohnende wegen Verweigerung nur zu 50% geimpft, überraschende Gegenwehr aus Bevölkerung.“

„Normalerweise plant man 12-18 Monate ab Beginn Phase I. EMA und Pfizer überlegen, ob sie ggf. die Phase III Studien auslassen und direkt in eine breite Anwendung gehen, wenn das von den Regulatoren so entschieden wird, dann kann es schneller gehen als 12-18 Monate.“

„Textentwurf Christian Drosten: Empfehlung für den Herbst, Darstellung der Ideen und Einschätzung (Folien hier). Kontext: Der Artikel ist vertraulich. Hr. Drosten hat zwischenzeitlich entschieden, das Papier nicht zu publizieren, da ungezielte Testung im Text als nicht sinnvoll betrachtet wird und dies dem Regierungshandeln widerspricht.“ (Protokoll vom 29.07.2020) „Impfung von Kindern: Auch wenn (von) STIKO die Impfung für Kinder nicht empfohlen wird, BM Spahn plant trotzdem ein Impfprogramm.“

„Es gibt keine Anzeichen, dass Impfungen an Ausscheidungen etwas ändern. (…) Die fachlichen Empfehlungen werden beibehalten, solange es keine anderslautende Anweisung vom BMG gibt.“

„Pädiatrische Fachverbände stehen der Impfung von Kindern zurückhaltend gegenüber. Politik bereitet bereits Impfaktionen vor, damit die entsprechenden Jahrgänge zum Ferienende geimpft sind.

Frage der Equity - in vielen Regionen der Welt fehlen Impfstoffe, hier werden Gruppen ohne/mit sehr geringem Risiko geimpft.“

„Zurzeit ist auch eine Booster-Impfung von Kindern aus ministerieller Seite angedacht, obwohl dazu keine Empfehlung und teils keine Zulassung besteht.“

„Sofern es ausreichend Evidenz gibt, z.B. empfiehlt die American Academy of Peds das generelle Maskentragen ab 2J (Face Masks (aap.org), sollte hier eine verschärftere Formulierung gefunden werden. (…) Das Tragen von Masken sollte auch bei niedrigen Inzidenzen ohne Einschränkung beibehalten werden und als Beibehaltung von Basismaßnahmen verstanden werden. Daher bitte Formulierung ‚nachschärfen‛.“

„Die Testung sollte in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Wie kann dem politischen Wunsch nach verstärkter Testung entgegengekommen werden?“

„Zielgruppenspezifische Kommunikation. Wer sollte insbesondere adressiert werden? Primär junge Menschen, diese verhalten sich anders. Es muss cool sein, sich impfen zu lassen.“ „Zielgruppe jüngere Menschen & Impfung: Z.B. Influencer-Vaccination Challenge auf YouTube (…) Viele Aspekte des Themas könnten mit mehr Humor angegangen werden (z.B. Angst vor Impfnachwirkung thematisieren). Z.B. hat elhotzo bei seiner Impfung seine Impfreaktion thematisiert.“

„BMG möchte vermutlich Ausnahmen für Geboosterte für 3 Monate. Geimpfte müssen irgendwelche Privilegien erhalten, dies muss in Einreiseregelung enthalten sein."

„Die STIKO- Empfehlung ist nicht immunologisch begründet, sondern dient dem Einsparen von Impfstoff.“

„Am Donnerstag erfolgte vor Veröffentlichung der Aktualisierung des Kontaktnachverfolgungsmanagement-Papiers eine ministerielle Weisung zur Ergänzung. (…)Eine derartige Einflussnahme seitens des BMG in RKI-Dokumente ist ungewöhnlich. Die Weisungsbefugnis des Ministers bei technischen Dokumenten des RKI wird derzeit von L1 rechtlich geprüft. Aktuelle Einschätzung der RKI-Leitung ist, dass die Empfehlungen durch das RKI in der Rolle einer Bundesbehörde ausgesprochen werden, und einer ministeriellen Weisung zur Ergänzung dieser Empfehlung nachgekommen werden muss, da das BMG die Fachaufsicht über das RKI hat und sich als Institut nicht auf Freiheit der Wissenschaft berufen kann. Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI von der Politik ist insofern eingeschränkt.“

Information der Redaktion Berlin 24/7: Die Protokolle sind in ganzer Längehier,hierundhierzu finden und können heruntergeladen werden. Das angekündigte Zusatzmaterial von 10 GB Datenvolumen ist momentan nicht mehr  auf der Seite rki-transparenzbericht.de zugänglich. Diese Seite zeigt eine Fehlermeldung an.

Zum Autor: Philipp Debionne ist seit 25 Jahren im Nachrichtengeschäft. Wichtigste Erkenntnisse aus dieser Zeit: Die persönliche Beliebtheitsskala darf für einen Journalisten keine Rolle spielen. Angstfreier Journalismus ist eine elementare Stütze jeder demokratischen Gesellschaft. Er ist Autor bei Die Schwäbische, in der die Erstveröffenlichung am 24.Juli 2024 erschien. 

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren - auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen - abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. Die Meinungen und Ansichten der Autoren müssen nicht der Redaktion von Berlin 24/7 entsprechen.

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