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Serbischer Präsident warnt vor großem Krieg - Frieden in der Ukraine ist wichtiger, als Sieg einer Seite

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic sieht Europa auf dem Weg in eine hochgefährliche Konfrontation. Alle Zeichen stehen auf einen großen Krieg, erklärte Vucic in einem Interview mit der Schweizer „Weltwoche“ am 8. Juni. Weder Russland noch der Westen könnten sich eine Niederlage im derzeitigen Ukraine-Krieg leisten. Nachdem auch die Vereinigten Staaten und andere NATO-Länder der Ukraine erlaubt hatten, mit den von ihnen gelieferten Waffen Ziele auf russischem Gebiet anzugreifen, könne es bereits in drei bis vier Monaten oder noch früher zu einer „echten Katastrophe“ kommen, befürchtet das serbische Staatsoberhaupt.

Ein Beitrag von Multipolar

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Bild: Shutterstock/ LittlePerfectStock

USA und NATO könnten sich eine Niederlage in der Ukraine nicht erlauben, denn der „kollektive Westen“ würde dadurch seine geopolitische Herrschaftsposition unwiederbringlich verlieren. Zudem würde dies die „Büchse der Pandora“ für weitere Feindseligkeiten gegen die westlichen Mächte in anderen Teilen der Welt öffnen. Auch Russland werde alles tun, um im Ukraine-Krieg eine eigene Niederlage zu verhindern, unterstrich der 54-Jährige. Denn sonst wäre die russische Staatlichkeit als solche bedroht. Westliche Staatsführer vermuteten möglicherweise, dass sie die Ukraine nutzen könnten, um Russland zu schwächen und das Land anschließend zu zerschlagen sowie den russischen Präsidenten zu stürzen, vermutet er. „Ich glaube, man unterschätzt Russland und Putin.“

Vucic verurteile den russischen Einmarsch in das ukrainische Territorium, aber der Konflikt sei weitaus komplizierter. Die Minsker Vereinbarungen seien zuvor beispielsweise immer wieder gebrochen worden. Statt den Sieg der einen oder anderen Seite zu erhoffen, plädiere er für Frieden, betonte der serbische Präsident. Zu viele würden nur vom Krieg sprechen. Die Rhetorik werde von Tag zu Tag schlimmer. Frieden sei schon „fast ein verbotenes Wort“. Aktuell benähmen sich viele Politiker in Europa wie „große Helden“. Sie hätten ihren Bürgern aber nicht gesagt, dass sie im Kriegsfalle einen sehr hohen Preis zahlen werden. Welcher europäische Staatsführer sei bereit, Millionen Menschen zu verlieren, fragte Vucic.

Er erinnerte daran, dass ein Friedensabkommen im Ukraine-Krieg im Frühjahr 2022 bereits sehr nahe gewesen sei und dass es auch im Herbst 2022 nach erfolgreichen Vorstößen der ukrainischen Armee in der Region Charkow einen gut geeigneten Moment für Verhandlungen gegeben habe. Allerdings seien diese Chancen nicht genutzt worden. Dabei sei es besser, einen schnellen Waffenstillstand in der Ukraine zu vereinbaren und anschließend über Jahrzehnte hinweg weiter zu verhandeln, als auch nur einen Tag kriegerischer Auseinandersetzung in Europa zu erleben, betonte der ausgebildete Jurist. Er sei „nicht bereit, einen einzigen Mann zu verlieren“. Sein Land werde sich nicht am Krieg beteiligen.

Vucic, der als Fernsehreporter und späterer Parlamentsabgeordneter und Informationsminister in den 1990er Jahren mehrere Kriege in seinem Heimatland erlebte, kritisierte zudem die „Doppelmoral“ des Westens. In diesem Zusammenhang erinnerte er an das Kosovo. Infolge des völkerrechtswidrigen NATO-Angriffs auf Jugoslawien, an dem sich auch Deutschland beteiligt hatte, wurde die Region Kosovo 1999 aus dem serbischen Staatsgebiet herausgelöst. Wladimir Putin habe auf diesen westlich geschaffenen Präzedenzfall kürzlich erneut in einer Rede hingewiesen und die Heraustrennung des Gebiets mit der Abtrennung der Donbassrepubliken seit 2014 aus der Ukraine verglichen. Westliche Länder könnten aufgrund ihrer eigenen Verstrickungen keine völkerrechtlich angemessene Antwort hierauf geben.

Bis heute ist der völkerrechtliche Status des Kosovo umstritten. Die USA errichteten dort die Militärbasis „Camp Bondsteel“ – ihren weltweit drittgrößten Stützpunkt außerhalb der Vereinigten Staaten. Serbien, das weder NATO-, noch EU-Mitglied ist, ist laut seinem Präsidenten ein unabhängiges und souveränes Land, das mit allen Staaten in der Welt zusammenarbeitet. Er sei genauso bereit, mit der EU zu kooperieren wie mit China, Ägypten oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, erklärte Vucic. Zu seinen persönlichen Werten gehörten der Respekt vor Unterschieden und unterschiedlichen Ansätzen in verschiedenen Ländern. Sein Traum sei, Frieden und Stabilität in Serbien zu bewahren. Das Land habe im 20. Jahrhundert zahllose Kriege erlebt, unterstrich Vucic. Das dürfe sich nicht wiederholen. Im Ersten Weltkrieg habe Serbien rund 29 Prozent seiner Bevölkerung verloren – mehr als jedes andere beteiligte Land.

Wir danken Multipolar für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung des Beitrages, der am 17.Juni 2024 erschien: https://multipolar-magazin.de/meldungen/0069 

Zu Multipolar: Gegenwärtig erleben wir den Übergang von einer unipolaren zu einer multipolaren Weltordnung. Seit dem gescheiterten Irakkrieg des Jahres 2003 verfällt die einstige globale US-Hegemonie. Dieser schmerzhafte Prozess des Niedergangs birgt eine Gefahr für den äußeren und inneren Frieden. Doch zugleich eröffnet er große Chancen für alternative Entwicklungen, für eine friedliche, freie und plurale Welt. Diesen spannenden und komplexen geopolitischen Vorgängen wollen wir in unserem Magazin besondere Aufmerksamkeit schenken. Gleiches gilt innergesellschaftlich. Gegenüber der bedrückenden politischen und medialen Formierung der vergangenen Jahre setzen wir auf Spannungen, Widersprüche, unterschiedliche Perspektiven. Multipolar steht für multiperspektivischen Journalismus. Link:  https://multipolar-magazin.de

Das Magazin Multipolar wurde im Januar 2020 von drei Journalisten gegründet: Stefan Korinth, Jahrgang 1983, ist Diplom-Sozialwissenschaftler und arbeitet seit 2012 als freier Journalist, unter anderem für Telepolis, Rubikon und den Evangelischen Pressedienst. Im Ukraine-Konflikt hat er ab 2014 die politische Lage und die Rolle der Medien mit zahlreichen Analysen beleuchtet. Paul Schreyer, Jahrgang 1977, arbeitet seit 15 Jahren als freier Journalist, unter anderem für Telepolis, die NachDenkSeiten und den WDR. Er ist Autor der Bücher „Wer regiert das Geld?“ (2016) und „Die Angst der Eliten – Wer fürchtet die Demokratie?“ (2018), das vom Literarischen Quartett des ZDF empfohlen wurde. Zuletzt erschien der Spiegel-Bestseller "Chronik einer angekündigten Krise – Wie ein Virus die Welt verändern konnte". Ulrich Teusch, Jahrgang 1958, ist Professor für Politikwissenschaft und seit vielen Jahren als Sachbuch- und Hörfunkautor tätig. Für sein SWR-Feature „Nicht schwindelfrei – Über Lügen in der Politik“ erhielt er 2013 den Roman-Herzog-Medienpreis. Zuletzt erschienen „Der Krieg vor dem Krieg – Wie Propaganda über Leben und Tod entscheidet“ (2019) und „Politische Angst – Warum wir uns kritisches Denken nicht verbieten lassen dürfen“ (2021). Ende 2023 schied Ulrich Teusch aus dem Herausgeberkreis aus .

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